Ex en Provence
und mir deshalb nicht freigegeben haben. Und deshalb dürften sich auch kaum andere Eltern zur Begleitung gefunden haben, weil nämlich alle ein langes Wochenende haben wollen. Blöde Franzosen!
Jetzt geht die Tür des Klassenraums auf, und Jean-Jacques, der germanophile, aber chronisch überdurchschnittlich verspätete Chemieprofessor, schlendert herein. Trotz seines Vornamens trägt er keinen Schnauzbart.
»Gutten Abbend und ent-schuuldi-gungg«, sagt er – wie üblich. Doch diesmal setzt er sich nicht diskret auf seinen Platz in der letzten Reihe, sondern macht einen Umweg zu Jule. Aus einer Plastiktüte holt er einen Plüschfrosch, den er Jule feierlich überreicht.
»Bitte schöön, Yulé«, sagt er und versucht, Jule deutsch-korrekt auszusprechen. »Das ist ein Freund für deinen Frosch«, fügt er auf Französisch hinzu und zeigt auf ihren bereits zum Kurs-Maskottchen avancierten Napoleon.
»Oh, toll!«, ruft Jule, rupft sich die Stöpsel aus den Ohren und sagt formvollendet: »Merci, Jean-Yves.«
Jean-Yves? Oh, nein. Nicht noch mal die Nummer!
»Jean-Jacques«, raune ich Jule zu. »Jean-Yves ist unser Nachbar, der Sü-ßig-kei-ten-ver-käuf-er.«
»Ach so«, murmelt Jule. »Merci, Jean-Claude.«
Die Runde beginnt zu kichern.
»Nein, Jule, nicht Jean-Claude, das ist der Mann aus unserem Supermarkt«, erkläre ich. »Jean-Jacques, Jule. Du musst dich bei Jean-Jacques bedanken!«
Jean-Jacques, Jule. Nicht Jean-Yves, nicht Jean-Claude und auch nicht Jean-Pierre, der Bürgermeister. JEAN-JACQUES !
»Jean-Äh …«, sagt Jule.
»Ach was, ist schon gut«, meint Jean-Jacques. »Aber wie soll denn dein neuer Frosch heißen?«, setzt er nach. »Der braucht doch noch einen schönen Namen.«
Alle blicken gespannt auf Jule.
»Jean Tout Court «, erklärt sie knapp und lässt die beiden Amphibien über den Lehrertisch toben. Auch die Klasse tobt.
Hä?
Jule steckt sich zufrieden die Kopfhörer in die Ohren, und Marie-Odile erklärt mir das Geheimnis von »Jean Tout Court «. »Einfach Nur Jean«, solle das heißen, und man könne es doch gut zu jenen Jean-Mitbürgern sagen, die über keinen weiteren Namen verfügen.
»Aha! Da weiß Jule wohl mehr als ich!«
»Sieht so aus, Frau Lehrerin«, freut sich François, der Manager mit leichten Problemen, seine mangelnde Autorität in dieser Veranstaltung zu akzeptieren. »Hat sie wahrscheinlich in der Schule gelernt.«
Wahrscheinlich.
Die anderen lachen begeistert und lassen die Packung Lebkuchen vom deutschen Discounter kreisen, mein heutiger Beitrag zur gemütlichen Runde. Auch ich greife zu, schließlich sind es die ersten der Saison.
»Nun aber zurück zu den verschiedenen Möglichkeiten, sich auf Deutsch zu verabschieden«, sage ich und stecke das letzte Stück meines Lebkuchens in den Mund.
In diesem Moment öffnet sich wieder die Klassentür, und Madame Guillotin steht vor mir!
Ihre Gesichtszüge erstarren. Die Türklinke noch in der Hand, lässt sie ihren Blick über das Weihnachtsgebäck schweifen, mustert dann Jule, die sich gerade die Lebkuchenkrümel an ihrem Dschungelbuch-Schlafanzug mit dem Kokosnuss-jonglierenden Bären Balu auf dem Bauch abwischt, und bleibt schließlich an den beiden Fröschen hängen.
Der Blick der Guillotin ist in etwa so liebevoll wie der des Dschungelbuch-Tigers Shir Khan nach einer Woche auf Diät.
»Madame Kirsch!«, herrscht sie mich an und wirft die Klassentür mit einem lauten Knall zu. »Wer ist das?« Ihr Blick ist starr auf Jule gerichtet.
»Das ist Jean Tout Court«, antwortet Jule an meiner Stelle, zupft sich abermals die Tonstöpsel aus den Ohren und hält mit ihrem unschuldigsten Lächeln den neuen Frosch in die Höhe.
Die Direktorin schnappt nach Luft. In den Reihen von Marie-Odile, Jean-Jacques, Hortense und ihren Kollegen ist unterdrücktes Gelächter zu hören. Aber niemand spricht.
Außer Jule.
»Guck ma, und das da ist Napoleon«, erklärt sie feierlich und drückt ihren inzwischen altgedienten Frosch an sich. »Aber eigentlich muss das hier Napoleon sein«, setzt Jule ernst nach. »Hier, guck doch ma«, fordert Jule meine Chefin auf und zeigt auf den gerade erbeuteten Frosch, »der hier hat nämlich eine Krone und einen Königsumhang, und Napoleon ist doch ein König, oder?«
Madame Guillotins Blick verfinstert sich weiter. »Ein Kaiser«, presst sie hervor. »Kein König. Und auch kein Frosch! «
Jule ignoriert diese Spitzfindigkeit, schmiegt sich an ihren Napoleon und erklärt: »Und der hier
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