Ex en Provence
ist soooo süß, aber der hat keine Krone, er ist also ganz einfach, so wie Jean Tout Court.« Jule steht der Stolz über ihre intellektuelle Höchstleistung ins Gesicht geschrieben. Hach, ich könnte sie küssen! Aber die Lage ist so entspannt wie kurz vor Shir Khans finalem Zugriff.
»Das wird Folgen für Sie haben«, keift mich Madame Guillotin an, dreht sich auf ihren Absätzen um, reißt die Tür auf und …
… bleibt abrupt stehen.
Vor der Tür steht Philippe, frisch von der Skipiste, tiefgebräunt und mit einem sehr attraktiven Dreitagebart. Und – wie war das? – seit neuestem mein Ex-Verehrer.
Seufz.
Er wollte gerade auf der anderen Seite an die Tür klopfen und hielt dafür immer noch seine rechte Hand bereit, die damit ziemlich fehlplatziert auf Madame Guillotins spitze Nase zielt.
»Monsieur Foulie! Was machen Sie denn hier?« Madame Guillotin hat ihre erste Verblüffung offenbar schnell weggesteckt.
»Oh, bonsoir Madame«, raunt Philippe und setzt ohne Zögern zu einer Runde Begrüßungsküsse an. Ein wirklich seltsamer Brauch: Bis dahin hatte ich nicht einmal geahnt, dass man auch seine Chefs küssen könnte. Und dann auch noch diese Chefin … Aber in diesem Moment scheint es mir wohl der richtige Schachzug zu sein – und ohnehin eine Selbstverständlichkeit für Philippe.
»Wie schön, Sie hier anzutreffen, Madame«, erklärt er souverän. »Ich wollte ohnehin etwas sehr Wichtiges mit Ihnen besprechen.«
»Monsieur Foulie, ich freue mich auch, Sie zu sehen …«, sagt die Guillotin in einem merklich sanfteren Tonfall.
Die Masche zieht …
»… Aber Sie können mich doch hier eigentlich gar nicht erwartet haben. Um diese Uhrzeit. Da arbeite ich doch üblicherweise gar nicht.«
Eins zu null für Madame.
»Nun, also …«, Philippe fehlen die Worte.
Mir steigt der Schweiß auf die Stirn.
»Und was tragen Sie da überhaupt mit sich herum?«, fragt sie Philippe, der ein rotes Paket mit einer wunderschönen silbernen Schleife unter dem Arm hält.
»Äh, das ist Arbeitsmaterial für Madame Kirsch. Sie wissen doch, für den Tag der offenen Tür.«
»Ach, deshalb hängt auch dieses Herz an der Schleife«, gibt die Guillotin bissig zurück und zupft die Spitzen ihres Haarhelms im Prinz-Eisenherz-Stil zurecht.
»Nun, also …«, stammelt Philippe.
Ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt. Die Guillotin wendet sich jetzt wieder mir zu. »Madame Kirsch, ich dulde keine Liebschaften im Kollegium!«
Ich? Liebschaft? Und überhaupt: Ist das hier die Armee?
»Aber …«
»Kein aber. Und denken Sie bloß nicht, ich hätte Ihre Nachricht auf der Tafel nicht verstanden: Sie wollen die nächste Stunde ausfallen lassen! Ich weiß sehr wohl noch, dass ich Ihnen den strategisch so günstig gelegenen 12. November nicht freigegeben habe! So funktioniert das hier nicht! Aber Sie haben sich darüber hinweggesetzt. Sie werden von mir hören«, schreit die Guillotin und stürmt zur Tür hinaus.
Jule sieht mich entsetzt an. »Mama? Hast du Mist gebaut?«, fragt sie leise.
Ja, ich bin eine echte Rabenmutter, nämlich weil du hier sitzt und Zeugin dieser maßlosen Ungerechtigkeit werden musst.
Doch bevor ich antworten kann, keift Madame Guillotin: »Kommen Sie, Monsieur Foulie, ich muss mit Ihnen sprechen.« Während ihre Pfennigabsätze schon durch den Flur hallen, steckt mir Philippe das Geschenkpaket zu und küsst mich auf den Mund.
»Huuuuuuh!«, tönt es von Marie-Odile und Co., die in ihrem Alltag wohl mit Romantik etwas unterversorgt sind.
»Wer bist ’n du eigentlich«, fragt Jule und zeigt auf Philippe, der jetzt schon die Klassentür erreicht hat.
»Isch binn Philippe«, sagt er und fügt mit einem charmanten Lächeln hinzu: »Isch biin der Gelibbte deiner Muuter.«
Hm.
»Oh là là«, tönt es jetzt aus den Reihen meiner Schüler.
»Hä?«, erkundigt sich Jule in vollendeter Eloquenz.
»Isch libbe deine Muuter«, sagt Philippe und folgt dann – mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen – unserer Chefin.
Kaum ist die Tür geschlossen, bricht mein Kurs »Deutsch-für-Berufstätige« in Applaus aus.
»Was ’n jetzt los, Mama?«, fragt Jule, die immer verwirrter wirkt.
Rabenmutter!
»Ich erkläre dir das alles später, mein Schatz.«
»Okee«, sagt sie und stopft sich – wieder ganz entspannt – die Kopfhörer in die Ohren.
Rabenmütter gibt es in Frankreich nicht. Vive la France!
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Etwa eine Stunde später
Vor der »École Polyglotte«
Philippe lehnt lässig an
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