Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Munde Gingolds; allein dessen Kommentar und sein freches Wort »meinen Lesern« reizten ihn. »Ich danke Ihnen für Ihre Belehrung«, sagte er streitbar mit seiner hellen Stimme, »aber die Stilisierung meiner Arbeiten müssen Sie gefälligst mir überlassen.« – »Wir haben uns schon dahin geeinigt«, besänftigte Heilbrun, »daß ein Furz und ein Arsch unter den Tisch fallen.« – »Nichts für ungut, Herr Professor«, lenkte, durch Trautweins Heftigkeitnoch erschreckt, Gingold ein. »Immer unser enfant terrible«, fügte er hinzu, um ein verstehendes, beschwichtigendes Lächeln bemüht. Aber der Blick, den er Trautwein nachsandte, als dieser jetzt ging, war keineswegs liebenswürdig.
Trautwein ärgerte sich über sich selber. Er hätte sich nicht so gehenlassen, hätte Gingold nicht so großkopfig erwidern dürfen. Anna wäre bestimmt unzufrieden, und das mit Recht. Politik treiben, seine Meinung heraussagen, sich seinen Groll vom Herzen schreiben, ist eine schöne Sache. Leider aber hat man bei dieser Beschäftigung mit übeln Burschen zu tun. Man hat Deutschland aufgegeben, um nicht nach Herrn Hitlers Pfeife zu tanzen: soll man jetzt nach Herrn Gingolds Pfeife tanzen?
Er schickte sich an, die Räume der »P. N.« zu verlassen, verdrossen und zerstreut vor sich hin schauend. »Hallo, Sepp«, riß ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. »Wohin? Gehen Sie essen? Dann kommen Sie mit mir.« Trautwein zögerte. Es kam ihm gelegen, seinen Verdruß durch ein Gespräch wegzuspülen, und der bewegliche, brillante Friedrich Benjamin war dafür der rechte Mann; aber Anna erwartete ihn zum Mittagessen, und er scheute sich, überflüssiges Geld im Restaurant auszugeben. Doch Friedrich Benjamin bestand: »Sie müssen mitkommen. Ich muß Sie sowieso sprechen. Ich habe eine kollegiale Bitte an Sie. Machen Sie keine Umstände, Sepp. Sie sind natürlich mein Gast.« Trautwein gab nach, telefonierte ins Hotel Aranjuez Bescheid für Anna, ging mit Benjamin.
Der führte ihn in den Coq d’Argent, ein hübsches Restaurant, in welches Trautwein allein nie gegangen wäre, da es viel zu teuer aussah. Benjamin wählte umständlich, kennerisch, befragte Trautwein nach seinen Wünschen, machte ihm Vorwürfe, daß er auf das Essen so wenig Gewicht lege. Trautwein nämlich pflegte zerstreut zu essen, gewohnt, daß seine Frau ihn mit den geringen Mitteln, die zu Gebote standen, so gut wie möglich nährte. Das einzige, wonach er sich sehnte, was er in Paris vermißte, waren gewisse kräftige bayrische Gerichte.Er wäre lieber mit Richard Strauss in München gesessen, im »Franziskaner«, Weißwürste oder Bratwürste essend und Märzenbier trinkend, statt in diesem französischen Beisel bei Austern und Chablis und mit Friedrich Benjamin. Aber der »Franziskaner« und Richard Strauss, das war nun dahin. Ein Licht freilich war er nie gewesen, unser Richard Strauss, abgesehen von allem Musikalischen natürlich; sonst auch säße er wahrscheinlich hier und nicht bei den Nazis.
Sich mit Benjamin zu unterhalten, ist gewinnbringend, da gibt es keinen Zweifel. Friedrich Benjamin ist »nur« ein Journalist. Aber was für einer. Was alles weiß er, mit welcher Logik zieht er seine Schlüsse, wie brillant ordnet er Kleines und Großes, daß alles neue Aspekte gewinnt. Sepp Trautwein führt sich diese Vorzüge Benjamins beflissen vor Augen, heute wie so oft, um ihm gerecht zu werden; denn im Grunde ist Benjamin ihm zuwider. Er macht aus sich und seiner Tätigkeit zuviel her. Und Sepp Trautwein, gewohnt, herauszupoltern, was er auf dem Herzen hat, setzt ihm zum zehntenmal auseinander, daß »wir alle« uns viel zu wichtig nehmen. Oder beeinflußt etwa, was wir schreiben oder nicht schreiben, die politischen Geschehnisse?
Während Trautwein das erörterte, mit vielen Details in seiner sanguinischen Art, laut und münchnerisch, so daß die französischen Gäste ringsum aufhorchten, saß Friedrich Benjamin ihm gegenüber und aß. Er aß langsam, kennerisch, ab und zu trank er in kleinen Schlucken. Zuweilen sagte er: »Essen Sie doch, Trautwein, es ist schade, wenn Sie den Fisch kalt werden lassen«, oder dergleichen. Sonst unterbrach er Trautwein nicht. Nur schaute er manchmal hoch, wenn Trautwein einen besonders saftigen Satz von sich gegeben hatte; seine schönen, braunen Augen wölbten sich seltsam aus seinem gescheiten Gesicht. Trautwein, wenn er diese Augen sah, wie sie aus dem runden Kopf über der großen, krummen Nase heraussprangen, traurig,
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