Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
von sich gestreckt, den Blick abwesend. In seinem Kopf war das Motiv aus den »Persern«, das er heute früh gefunden hatte. Eigentlich durfte er »Die Perser« nicht liegenlassen. Eine unangenehm fettige Stimme hat dieser Benjamin. Ganz abgesehen von allen äußeren Gründen ist es auch eine große innere Verlockung, ein paar Tage an den »Nachrichten« zu arbeiten. Er wird manches erfahren und manches ausrichten können.
Benjamin kam zurück. »Abgemacht«, sagte er.
3
Einer fährt im Schlafwagen in sein Schicksal
Am Abend dieses Tages steht Friedrich Benjamin am Fenster des Schlafwagens, die Melone auf dem Kopf, Zigarre im Mund, über seinem Gesicht ist ein kleines, fatales Grinsen, das wenig gemein hat mit jenem Lächeln, das ihn zuweilen verschönt. Abschiedsszenen liegen ihm nicht. Unbeholfen steht er am offenen Fenster, die kühle Märzluft dringt herein, und er spricht hinunter zu Ilse, seiner Frau. Wer die beiden sieht, wundert sich, daß der wenig sympathische Mann und die hübsche Frau zusammengehören. Er muß wohl viel Geld haben.
Er hat es nicht. Eigentlich hätte er sich zweimal überlegen müssen, ob er sich den Schlafwagen leisten kann. Er hat es nicht überlegt; so ist er nun einmal.
Ilse lacht zu ihm herauf. Der große Mund in dem slawischen Gesicht zeigt ihre schönen Zähne. Munter schwatzt sie drauflos, leise kommt manchmal ihr angeborenes Sächsisch durch, sie schwatzt überflüssiges Zeug: er solle sich nicht erkälten, er solle viel depeschieren, aber ja nicht telefonieren, das Telefon komme immer zur Unzeit, wenn man schlafe oder im Bad oder sonstwo sei. Er sagt ihr zum dritten- oder viertenmal, er werde also bestimmt Sonntag abend, allerspätestens Montag früh zurück sein. Gerne möchte er ihr von den Einzelheiten seines Vorhabens erzählen. Es füllt ihn ganz aus, und er hat ihr nur Allgemeines darüber gesagt, daß er nämlich Dittmann treffen wolle, der ihm einen Paß versprochen hat. Aber er unterläßt es; er weiß, für Details interessiert sich Ilse nicht, sie interessiert sich höchstens dafür, wann er wieder zurück ist. Andernteils ist ihr Gedächtnis nicht sehr präzis, und darum wiederholt er ihr, mit leisem Nachdruck, die genaue Zeit seiner Rückkehr. Ihr Stundenplan ist recht besetzt, das ist ihm bekannt; manchmal ist es besser, nicht genau zu wissen, wie er besetzt ist. Auf alle Fälle kann er ihr nicht oft genug einschärfen, wann er wieder in Paris sein wird.
»Meine Güte«, erinnert sie sich und spricht plötzlich sehr sächsisch, »jetzt fällt mir ein, was ich noch wollte. Am Freitag ist ja die Marlene-Dietrich-Premiere. Du hättest auch daran denken können, mir Karten zu besorgen. Vergiß es wenigstens jetzt nicht, wenn du von unterwegs mit den ›P. N.‹ telefonierst. Sonst beschaff ich mir die Karten anderwärts«, droht sie.
Endlich fährt der Zug an. Er winkt noch eine Weile, dann geht er vom Fenster zurück. Es ist ein gutes Omen, daß er sein Coupé nicht mit einem andern teilen muß. Er gibt dem Schaffner Trinkgeld, auf daß es so bleibe. Dann geht er in den Speisewagen. Er hat nicht viel Appetit, eigentlich müßte er das Geld sparen. Aber der Aufenthalt im Speisewagen ist die angenehmste Art, die Stunde vor dem Schlafengehen hinzubringen, und Ilse würde ihn auslachen mit seinen Sparsamkeitserwägungen.
Der Zug schaukelt in langen, gleichmäßigen Schwingungen. Der Speisewagen ist besetzt, voll von gedämpftem Lärm. Benjamin wundert sich, wie stets, über die Geschicklichkeit der Kellner, wie sie es zuwege bringen, in dem fahrenden Zug zu servieren.
Ist es ihm nun eigentlich unlieb, daß er hat fortmüssen, oder nicht? Es stört ihn, daß er genötigt ist, seine Tätigkeit an den »Nachrichten« zu unterbrechen. Wegen des Passes allein würde er nicht nach Basel fahren. Doch das Material, das Dittmann in Aussicht gestellt hat, zusammen mit dem Paß, das lohnt schon, und er freut sich darauf, ihn einmal wieder zu sprechen. Es gibt eine Menge Zeug, das man brieflich nicht mitteilen kann, und manches gewinnt Wert erst durch den mündlichen Kommentar.
Wenn das Huhn ein bißchen weniger durchgebraten wäre, könnte es nicht schaden. Unlustig schnitzelt er an seiner Keule herum und läßt sie schließlich halbgegessen liegen. Er hat, vor Trautwein, sich und seine Tätigkeit verkleinert. Das tut er zuweilen, oft. Aber nur, um aus dem andern die Bestätigung seiner Leistung herauszukitzeln, denn er hat Leistung hinter sich, und wer einmal ernsthaft die
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