Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Geschichte der Weimarer Republik schreibt, wird nicht umhin können, seiner Verdienste zu gedenken. Er hat am meisten dazu beigetragen, die geheime deutsche Aufrüstung und die Fememorde darum herum zu enthüllen. Er hat viel Übles auf sich nehmen müssen; die Männer vom Generalstab waren harte, mächtige Gegner, die nichts vergaßen und ihn mit Prozessen und Schikanen unermüdlich verfolgten. Es ist keine Kleinigkeit gewesen, sich all die Jahre hindurch in tausend Zeitungen als »Hoch- und Landesverräter« anpöbeln zu lassen. Nachdenklich trank er von seinem Pommard.
Damals war es sinnvoll, was er getan hat; damals war es sinnvoll, anzustreben, daß das Reich statt eines militaristischen Polizeistaats ein Industrie- und Kulturland werde. Das bestreiten wenige. Aber wenn er sich heute noch bemüht, nachzuweisen, daß der deutsche Generalstab rüstet, hat dasnoch irgendeinen Zweck? Alle Welt weiß es doch ohnehin. Daß dieses neue deutsche Reich durch Krieg und Gewalt in Europa die Hegemonie erreichen will, was soll es nützen, das immer wieder Leuten vor Augen zu führen, die es nicht sehen wollen, und es Ohren zu predigen, die sich weigern, es zu hören? Sich da abzappeln, das heißt automatisch eine Tätigkeit weiterführen, die längst ihren Sinn verloren hat, so wie das Herz des Frosches fortschlägt, noch stundenlang, wenn man es aus dem toten Rumpf herausgenommen hat.
Quatsch. Ob sinnvoll oder nutzlos, er muß sich das Herz frei schreiben. Von seinen vier Jahren Frontdienst hat er einen heißen Haß gegen alles Militärische mitgebracht. Dieser Haß, das ist sein großes Erlebnis. Er kann sich sein Leben ohne diesen Haß nicht mehr vorstellen. Seine Gegner behaupten, sein absoluter Pazifismus, sein unentwegter Antimilitarismus, trage nur dazu bei, das Gegenteil von dem zu bewirken, was er wolle; Leute wie er beschleunigten den Krieg, statt ihn zu verhindern. Allein seitdem er aus den Scheußlichkeiten des Frontdienstes zurückgekehrt ist, kann er nicht mehr leben, ohne gegen den Militarismus zu schreiben. Seit diesen siebzehn Jahren ist leben und so schreiben für ihn das gleiche.
In kleinen Schlucken trank er seinen Kaffee. Der Aufsatz über die beiden »Spioninnen« ist gut geraten, selbst Trautwein, bei aller inneren Gegnerschaft, hat seine Qualität anerkennen müssen. Dabei hat er viel zuwenig Material gehabt. Ach, wie anders, wieviel besser ist man in Berlin mit Informationen versorgt gewesen. Wenn jemand auf Präzision hält, wie er, dann leidet er bitter unter diesem Mangel. Hoffentlich lohnt das, was Dittmann ihm bringt, wirklich der Mühe. Er möchte gern einmal wieder ein Heft der »Plattform« herausbringen, für das er ganz einstehen kann.
Er steckte das Geld zu sich, das man ihm auf seinen Hundertfrankenschein herausgegeben hatte. Billig wird diese Reise nach Basel nicht. Er stand auf, angenehm durchwärmt von dem Burgunder; hin und her geschleudert, durch den dahinjagenden Zug, ging er zurück in sein Abteil.
Das Bett war gerichtet. Er riegelte die Tür ab, genoß das Alleinsein. Öffnete das Fenster, um vor dem Einschlafen noch etwas Luft hereinzulassen. Zog sich aus, suchte ungeschickt die abgelegten Kleidungsstücke unterzubringen, wusch sich, putzte die Zähne. Die drei Spiegel des Toiletteschranks gaben sein Gesicht wieder, es sah gelblich aus, dicklich, verschwitzt und gefiel ihm nicht. Wenigstens war es kein dummes Gesicht, das konnten nicht einmal die deutschen Generäle behaupten, seine Gegner. Er nahm ein Schlafmittel – ohne das konnte er im Zug nicht schlafen – und ein Pyramidon, um zu verhüten, daß er des Morgens mit Kopfschmerzen aufwache. Schaltete die Leselampe ein, das große Licht aus. Ärgerte sich, daß, wie stets, die Bettdecke zwischen Bett und Wand so festgeklemmt war. Zog sie heraus, streckte sich bequem, wickelte sich ein.
So, jetzt ist es richtig und angenehm. Königin, das Leben ist doch schön. Nur ein bißchen teuer. Die Reise allein wird, wie er sich kennt, an die viertausend Franken kosten, Dittmann wird für seine Spesen auch zwei- bis dreitausend aufrechnen, weitere zweitausend werden für den Paß draufgehen. Das ist viel, und das ist wenig. In Berlin hat er es manchmal in vierzehn Tagen verdient, bei Gingold muß er drei Monate darum schuften. Ilse darf er nichts davon sagen, wie kostspielig diese Reise ist. Eigentlich müßte er sie bitten, sich in den nächsten Monaten ein bißchen einzuschränken. Aber das bringt er nicht über sich. Wenn er
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