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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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daran denkt, was er für Tage gehabt hat, als sie das teure Hotel Royal gegen das billigere Atlantic vertauschten, dann verschlägt es ihm schon jetzt die Sprache.
    Rund zehntausend Franken. Und wofür? Für eine Legitimation, für ein albernes Stück Papier. Thomas Mann, beim Anblick eines kleinen Kindes, das Züricher Bekannten geboren worden war, hat ausgerufen: »Acht Tage alt, und schon ein Schweizer.« Ein bitterer Witz. Von Bettina Lammers, die im allgemeinen nicht lügt, weiß er, daß sie jetzt achtundsiebzigmal auf der Präfektur gewesen ist, und ihr Papier hat sie heute noch nicht.
    Lesen wird er jetzt doch nicht mehr. Er klappt die Leselampeherunter, daß nur mehr das schwache, bläuliche Licht der Nachtampel im Abteil ist. Er dehnt und streckt sich, angenehm schläfrig. Nein, es geht ihm nicht schlecht. Wenn er denkt, wie elend andere Emigranten daran sind, dann darf er Gott loben und danken. Was für eine seltsame Wendung ihm da gekommen ist. Man verliert die Kontrolle kurz vor dem Einschlafen, Wendungen aus der Kinderzeit steigen in einem hoch. Ja, er kann Gott loben und danken. Es ist ihm geglückt, sich tagaus, tagein mit dem beschäftigen zu dürfen, was ihn an meisten lockt. Es ist ein ungeheurer Spaß, Papier mit sinnvollen Worten zu überdecken. Zuerst ist es weiß und leer und schweigsam, und auf einmal hat es eine Stimme und sagt jedem, der es hören will, genau das, was man selber spürt und denkt. Obendrein kriegt man noch für diese Beschäftigung so viel, daß man leidlich leben kann, und dazu jeden zweiten Tag ein Dankschreiben von einem enthusiastischen Leser. Ja, da kann man nur sagen: Gott sei Lob und Dank. Oder auch, wie sein Großvater zu sagen pflegte: »Auch das zum Guten.« Und plötzlich sind in ihm wieder die hebräischen Worte, die er nun wohl dreißig Jahre nicht mehr gedacht hat: »Gam su letovo«, und er sieht das Bild seines Großvaters, eines beleibten, alten Mannes, ein Käppchen auf dem weißhaarigen Kopf, das Gesicht rot, doch immer schlecht rasiert, so daß die weißen Stoppeln kratzten.
    »Auch das zum Guten.« Aber doch nur sehr bedingt. Mit dem, was früher war, darf man das Heute nicht vergleichen. Wie hat das wohlgetan, damals, nach vier Jahren Frontdienst und Maulhalten, den ganzen Haß herauszuschreien, der sich in einem gehäuft hat. Gespürt hat man es, wie die Hunderttausende, die Millionen mitschrien. Und später, als man den Deutschen und der Welt immer wieder mit präzisen, unwiderleglichen Angaben bewies, wie die alten Generäle, die sie schon vorher betrogen hatten, sie weiter beschwindelten, als man das mit schlagenden Trümpfen dartat, wie spannte und entspannte man sich da. Was war das für eine glückliche Entladung. Wenn die Wut der Gegner, der Machthaber, gegeneinen losgeiferte, wenn man erlebte, wie sie einen mit allen Mitteln mundtot zu machen suchten und es doch nicht fertigkriegten, da fühlte man sich, da lebte man.
    Aber jetzt, dachte er mit Verachtung. Jetzt ist alles tot, der ganze Schwung fort. Wozu lebt man? Wozu arbeitet man? In einer toten Sprache schreibt man. Die sie verstehen, kriegen sie nicht zu lesen, und die sie zu lesen kriegen, wissen ohnedies, was man ihnen zu sagen hat.
    Der Wagen schaukelte in langen, gleichmäßigen, einschläfernden Schwingungen. So ist es, sagte er sich, während es ihn hinaufschaukelte. Aber schon während er hinuntergeschaukelt wurde, sagte er sich: So ist es nicht. Gewiß, sah man von außen hin, dann schien es eitle Mühe, was man tat. Allein schon der Haß, mit welchem die Feinde seine Aufsätze erwiderten, bewies, daß er traf, daß seine Arbeit Sinn hatte.
    Immer näher jetzt spürte er den Schlaf herankommen: Nichts Angenehmeres, als so, bewußt, zu fühlen, wie eine Schicht des Wachseins nach der andern vergeht gleich langsam verlöschenden Lampen.
    »Auch das zum Guten.« Ja, es fügt sich ausgezeichnet, daß er mit der Regelung seiner Paßangelegenheit eine Zusammenkunft mit Dittmann verknüpfen kann. Das Glück hat es gut mit ihm gemeint, als es ihm diesen Dittmann in den Weg schickte. Mit einer gewissen Zärtlichkeit denkt er an ihn. Ein Politiker ist er nicht, unser Dittmann, aber ein handfester Kerl mit unglaublichem Geschick für das Aufspüren von interessanten Details.
    Die Lider sind ihm schwer, die Glieder schläfrig lahm. Er schaltet auch die blaue Nachtampel aus, er hat ein angenehmes Vorgefühl, daß er gut und fest bis zum Morgen durchschlafen werde. Er legt sich auf die rechte

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