Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
hinauszubeißen. Sein blasses Gesicht lief rot an. Natürlich, sagte er, bedaure er wie jeder anständige Mensch Nathans Schicksal, und er habe sein möglichstes getan, ihm bei den Bonzen zu helfen. Aber gerade den Fall Nathan sollte man eigentlich nicht gegen die Nazi ausspielen. Man könne einen recht guten musikalischen Geschmack haben, und es könnten einem die Mätzchen Nathans dennoch so zuwider sein, daß man ihn halt, wenn man die Macht dazu habe, hinausfeuere. Und ehe Trautwein darauf erwidern konnte, fuhr er verbissen und streitbar fort: »Gewiß sitzen heute an hohen und höchsten Stellen Menschen, die von Kunst einen Schmarrn verstehen und trotzdem überall dreinreden. Aber was in der Weimarer Zeit herumgewimmelt hat, mein Lieber, das hat auch manchmal nicht unterscheiden können, ob einer singt oder bläst.«
Sepp lief täppisch in dem vollgestopften Zimmer hin und her; Anna fürchtete schon, er möchte Geschirr oder sonstwas herunterwerfen. Er hörte aus dem, was der andre sagte, nur heraus, daß der das Regime verteidigte, die Barbarei, die geistige Gewalt, die scheußlichste, die man seit Menschengedenken erlebt hatte. Er empörte sich. Grimmigen Gesichtes, mit heftigen Gesten, eiferte er gegen Riemann, wurde unsachlich, krähte Bösartiges. Wie könne man ein solches Regime verteidigen? Gut, es habe Riemann zum Staatsrat gemacht und verleihe ihm märchenhafte Bezüge: aber sei das ein Äquivalent dafür, daß Riemann, wenn er ihn, Sepp, sehen wolle, sich heimlich zu ihm schleichen müsse wie zu einem Diebsgeschäft?
Riemanns blasses Gesicht färbte sich, seine verträumten Augen unter der hohen Stirn starrten erregt. Aber er hatte sich das Wort gegeben, sich von Sepp nicht reizen zu lassen. Um seine Haltung zu wahren, quirlte er mit der Gabel seinen Champagner, führte das Glas zum Mund, stellte es wieder zurück, ohne zu trinken, zupfte nervös den langen, melancholischen Schnurrbart. War dieser Sepp denn ganz gottverlassen? Hatte er allen Sinn für die Wirklichkeit verloren?Wußte er nicht, daß man im Dritten Reich von Launen gewisser Leute abhängig war, daß dort immerzu ein Schwert über einem hing? Sah er nicht, was das bedeutete, daß er, der Staatsrat Riemann, hier saß bei dem Emigranten? Das war ein Risiko, mein Lieber, daraus konnten einem allerlei Unannehmlichkeiten erwachsen. Und Unannehmlichkeiten im Dritten Reich, das ist schlimmer als hier in Frankreich das Bagno. Weiß dieser Sepp das nicht? Riemann tut sich nichts zugute darauf, daß er hier sitzt. Er ist aus innerstem Bedürfnis hergekommen, es ist ihm ein Herzenswunsch gewesen, den Freund zu sehen. Aber tapfer ist es immerhin. Nicht jeder hätte den Mut dazu aufgebracht. Und da kommt ihm dieser Sepp so grob und gemein.
Aber davon darf er nichts laut werden lassen. Er muß sich bezähmen. Er sieht ja, wie es dem andern geht. Der sitzt im Dreck, halbproletarisiert, entwurzelt. Er weiß, wie Sepp an der Heimat hängt, an München, an der deutschen Musik. Deutsche Musik, das ist etwas anderes, mein Lieber, als Pariser Musik. Es ist kein Wunder, daß einer, der so vieles so bitter entbehren muß, hysterisch wird, und man darf es nicht so genau nehmen, was einer in einer solchen Lage alles herausschleimt.
Riemann wollte also nicht mit Sepp rechten. »Mein Lieber«, antwortete er lediglich, »einige Leute finden, wer in der Emigration sitzt, der sitze in der Etappe, und wir, die wir innerhalb des Dritten Reichs für das kämpfen, was dort von Kunst und Kultur geblieben ist, wir kämpften an der Front. Nein, nein«, begütigte er, da Sepp sich anschickte, heftig zu erwidern, »ich sage nicht, daß das mein Standpunkt ist, ich führe es nur an, weil Sie mir unrecht tun. Bleiben Sie doch sachlich, Sepp. Ich gebe zu, ich lege nicht gerade Wert darauf, mich mit Ihnen in der Öffentlichkeit zu zeigen: aber daß ich mich zu Ihnen geschlichen hätte, das ist einfach nicht wahr. Ich würde es mir nie verbieten lassen, Sie zu sehen. Ich habe zum Beispiel das Bankett abgelehnt, das die Deutsche Botschaft heut abend für mich geben wollte, und statt dessen sitz ich hier bei Ihnen. Ich sage das nicht, um mich zu rühmen: Sie sind es, der michzwingt, mich zu verteidigen.« Er verstummte, quirlte seinen Champagner, lächelte versöhnlich, gutmütig, freundschaftlich. »Als ich Ihnen telefonierte, Sepp«, sagte er und schaute gar nicht mehr staatsrätlich aus, »habe ich nicht beabsichtigt, durch meinen Besuch bei Ihnen zu demonstrieren. Ich wollte
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