Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Freunde und seine wahren Feinde hatte man verjagt, und inmitten des lärmenden Betriebs, der um ihn war, fühlte er sich einsam im Dritten Reich.
    Er hatte sich ehrlich darauf gefreut, mit seinem alten, guten, grimmigen, groben, lärmenden, törichten Freund Sepp Trautwein zusammenzusein. Als er indes Trautweins Zimmer betrat, als er sich nach der mehr als zweijährigen Trennung dem Freunde das erstemal wieder gegenübersah, überkam ihn eine peinvolle, lähmende Betretenheit. Wenn er sich, in Deutschland, vorgestellt hatte, wie Sepp wohl in Paris lebe, so hatte er leichtfertig und bequem an ein Paris gedacht, wie er es als Tourist kennengelernt hatte, an eine wunderschöne Stadt, die schönste der Welt, mit heller, silbriger Luft und leichtem Leben. Freundliche Assoziationen waren in ihm wach geworden,Place de la Concorde, Triumphbogen, Seinekais, Place de Vosges, Montmartre, nette, leicht zugängliche Frauen, Luft und Leben unbeschwert. Natürlich hatte er in Deutschland gehört, wie schlecht es den Emigranten gehe; aber ein anderes ist ein allgemeiner Bericht, ein anderes die leibhafte Anschauung. Das traurige Hotel Aranjuez mit seinem übelriechenden Aufzug, Sepps dürftiges, vollgestopftes Zimmer, seine schlampige Kleidung, das setzte jäh an Stelle des falschen Bildes, das sich Riemann vom Leben des Freundes gemacht hatte, die triste Wirklichkeit. Plötzlich wußte er, daß das Paris Sepp Trautweins nichts zu tun hatte mit dem Paris der beflissenen, englisch und deutsch sprechenden Portiers, der Nachtlokale, der raffinierten Speisen und guten Weine, des Louvre und des Bois, sondern daß es ein Paris war, voll von nissigen, überarbeiteten Polizeibeamten und schlechtgelüfteten Büros, das Paris müder, halbzerriebener Menschen, die sich, behindert durch die fremde Sprache, um Brot zum Essen, um Luft zum Atem abrackern mußten. Riemann hatte sich nicht klargemacht, daß Sepp nicht mehr der gepflegte, wohlhäbige Herr sein werde, den er in Deutschland gekannt hatte, und der Anblick des heruntergekommenen Menschen und seines schäbigen Rahmens verstörte ihn. Zu denken, daß das der Mann war, welcher die Musik zu den Horaz-Oden geschrieben hatte mit ihrer geläuterten Lebenslust.
    Dann aber beschaute er den Freund näher. Der storchte durchs Zimmer, die Füße nach innen gestellt wie immer, krähte, schnalzte mit der Zunge, und jetzt sah Riemann nur mehr den Mann, nicht mehr seine Umwelt, und in ihm war Freude. Nein, sein Freund Sepp Trautwein hatte sich nicht verändert.
    Sepp seinesteils strahlte, wie er den andern in dem Wachstuchsessel sitzen sah, die Knie steif hochgezogen, langsam von Gebärden, umständlich, geheimrätlich, oder vielmehr staatsrätlich; denn Riemann war Staatsrat geworden. Sepp mußte diese seine Freude laut äußern. »Wie staatsrätlich Sie dasitzen, alter Riemann«, erklärte er, allerbester Laune, undschnupperte wohlig den Essensgeruch, der von der primitiven Küche herkam, wo Anna und Frau Chaix hantierten.
    Riemann hatte von Anfang an damit gerechnet, daß ihn Sepp wegen seiner Stellung im Dritten Reich frotzeln werde, und hatte sich vorgenommen, das gelassen hinzunehmen; er war auch bereit, sich mit Sepp, wenn es sich so fügen sollte, über die Gründe auszusprechen, die ihn in Deutschland festhielten. Er erwiderte also nur: »Verändert haben wir uns wenig, alle beide, hoffe ich«, und begann von alten Dingen zu reden, von alten Freunden und Feinden, von alten Erlebnissen, dummen und gescheiten, von beruflichen Geschehnissen, von der harten und komischen Zeit ihres Anfangs, von Faschingsredouten und Lausbubenstreichen und ins Blaue zielendem Ehrgeiz. Riemanns Erinnerung idealisierte das alles, Sepp rückte es wieder ins Reale herunter, da sah das meiste derb aus, manchmal ein bißchen dreckig, aber gewöhnlich humorig. Viel, erstaunlich viel hatte man zusammen erlebt, Gutes und Schlechtes. Riemann hatte überall mitgetan, immer langsam, zögernd, umständlich, vorsichtig: aber ausgeschlossen hatte er sich niemals, er war kein Spaßverderber, er war es auch heute nicht.
    Anna kam. Sie hatte sich, nachdem sie ihre Kocherei beendet, noch ein wenig zurechtgemacht, die Freude verschönte sie, sie sah großartig aus. Riemann fand, daß es diese gut angezogene, damenhafte Frau mit seinem schlampigen, lärmenden, ungeschlachten Freund jetzt nicht leicht habe, jetzt, in dieser Emigrantenumwelt, schon gar nicht.
    Man aß und trank. Anna war aufgekratzt, und die beiden Männer bemühten sich,

Weitere Kostenlose Bücher