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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ihr vorzuführen, was für tolle Kerle sie in ihrer Jugend gewesen seien. Sepp räumte seinem Freunde Riemann ein gutes Teil an ihren früheren Streichen ein. Ja, der Riemann war ein Hinterfotziger, ein Tausendsassa gewesen, bei all seiner Duckmäuserei, und der Staatsrat lächelte, nachsichtig und geschmeichelt, wie Sepp das in Gegenwart der Dame Anna unterstrich.
    Ja, es war häufig der Riemann gewesen, der den Punkt aufsi gesetzt hatte. Da war etwa die Geschichte mit der Mali vom Café Prinzregent, um die alle sich bemüht hatten. Gekriegt hatte sie schließlich der Fraueneder. Der hatte ihr dann ein Kind gemacht, und wie es darum ging, das Geld aufzubringen für den Arzt, der dem Mädchen von dem Kinde helfen sollte, hatte er sich drücken wollen, der Bazi, und hatte sich überhaupt äußerst schofel benommen. Da war es Riemann gewesen, der einen neuen Text gedichtet hatte für den Chor aus der Neunten Sinfonie, diesen neuen Text, mit dem sie den Fraueneder so lange zwiebelten, bis der am Ende doch zahlte. Es hatte aber dieser Text gelautet:
    Das find ich fürwahr nicht rechtlich,
    Das entspricht nicht der Moral:
    Man verkehrt nicht erst geschlechtlich
    Und wird hinterher brutal.
    Riemann, nach seinem ebenso trübseligen wie würdigen Dasein im Dritten Reich, genoß doppelt die angenehme Unbekümmertheit dieses Abends. Ihm war zumute wie einem jener alten Herren, die sich bei studentischen Stiftungsfesten mit Mütze und Band zu kostümieren und sich ihre Jugend vorzuspielen pflegten. Auch Anna war aufgekratzt und bedauerte nur, daß der ebenso anspruchslose wie verwöhnte Riemann die Köstlichkeit der Gerichte, auf deren Zubereitung sie Geld und Mühe verwandt hatte, nicht recht zu würdigen verstand.
    Gegen Ende des Mahls sprach man von Ernsthafterem. Riemann wollte zwar das Programm des ersten Konzerts, das er jetzt in Paris dirigieren wird, mit seiner geliebten Fünften Sinfonie abschließen, für den Beginn aber hatte er Vorspiel und Karfreitagszauber aus dem »Parsifal« angekündigt, und Sepp machte sich lustig über diese Zusammenstellung. »Wenn Sie den heiligen Kitsch nicht spielten«, fragte er, »dann hätten die Gralshüter drüben Sie wohl nicht zu uns herübergelassen?« – »Er fängt schon wieder an mit seiner Politik«, sagte entschuldigend Anna zu Riemann, »er kann halt den Mund nicht halten.«Riemann hatte ein dünnes, verzeihendes Lächeln und zupfte an seinem Schnurrbart.
    Anna, ohne Übergang, erzählte von der bevorstehenden Rundfunkaufführung der »Perser«. Riemann wurde ganz aufgeregt, als sie berichtete, daß diese Aufführung schon in der übernächsten Woche stattfinden werde, am Mittwoch. Es lockte ihn, die Aufführung zusammen mit Trautwein anzuhören. »Eigentlich aber«, meinte er nachdenklich, »habe ich Mittwoch schon Probe in Brüssel.« – »Machen Sie’s doch möglich«, bat Anna, »einen Tag länger zu bleiben. Es wäre fein, wenn Sie die Aufführung zusammen mit uns anhören könnten«, und sie schaute ihn mit ihren schönen, glänzenden Augen dringlich an. Trautwein räusperte sich und knurrte unbehaglich. Aber: »Ich bleibe«, erklärte mit raschem Entschluß Riemann. »Müssen die in Brüssel sich halt mit einer Probe weniger begnügen.« Anna war glücklich, auch Sepp war gerührt von Riemanns schneller Bereitwilligkeit.
    Wie man dann das Eis aß und dazu von Annas Champagner trank, dem man wirklich nicht anschmeckte, ein wie billiger Gelegenheitskauf er war, kam es zum ersten ernstlichen Zusammenstoß. Es fiel der Name des Kapellmeisters Nathan, den die Nazi aus ihrem Reich herausgejagt hatten und der jetzt in New York Triumphe feierte. Trautwein konnte sich die Äußerung nicht verkneifen, Riemann werde sich wohl trotz aller Menschenliebe freuen, diesen Konkurrenten los zu sein; es war aber Kapellmeister Nathan neben Riemann Deutschlands beliebtester Dirigent gewesen. »Daß er das ›Deutsche Requiem‹ zu weichlich nimmt«, scherzte bösartig Trautwein, »scheint mir kein hinreichender Grund, ihn aus Deutschland herauszujagen.« Sowie nämlich auf Nathan die Rede kam, pflegte Riemann zu bedauern, daß dieser begabte Dirigent seine Neigung fürs Weichliche nicht zügeln könne, siehe seine Aufführung des »Deutschen Requiems«. Aus einem versteckten Schuldgefühl heraus nahm Riemann, der sich bis jetzt beherrscht hatte, gerade diesen Scherz krumm. Das klang ja beinahe so, als vermute Sepp, er, Riemann, habe mitgetan, denKonkurrenten aus seinem Bereich

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