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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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die Antwort zu geben, die ihm seit den ersten Worten dieser großen Klage auf den Lippen geschwebt war. »Wer hat’s Ihnen denn geschafft, mein Lieber?« fragte er, grimmig, trocken, höhnisch.
    Riemann aber, statt aller Antwort, schaute plötzlich hoch und fragte ängstlich: »Sind wir nicht ein bißchen laut geworden allesamt?« Er selber war es bestimmt nicht, er hatte dringlich, doch sehr leise gesprochen, und: »Sagen Sie, kann man hier nebenan nicht hören?« fragte er besorgt.
    »Nein«, beeilte sich Anna zu erwidern, noch ganz verstört durch Riemanns Ausbruch, »nein, man kann nicht. Übrigens ist um diese Zeit auch niemand zu Hause.« Trautwein aber schaute eher mitleidig als verächtlich hinunter auf seinen Freund, diesen Wasch- und Jammerlappen. Er spürte keinen Groll mehr. Er sah jetzt erst, wie sehr sich Riemann verändert hatte. Wohl war sein Gesicht dasselbe und seine Haltung; doch das, was Trautwein erst so recht das Bild eines Menschen gab, die Stimme, diese Stimme Riemanns, die war verändert; an seinem Ausbruch und jetzt an seiner ängstlichen Frage hatte Sepp das gehört. Ja, der ganze Mann war ein anderer geworden, er war zerrieben, erschöpft, seine Lebenskraft war aufgezehrt. Und hat Trautwein manchmal Riemann in seinem Heimlichsten beneidet, daß der in Deutschland bleiben und dort Musik machen konnte, jetzt war in ihm nichts als Bedauern mit dem Freund. Er war froh, daß er selber zur rechten Zeit das kranke Land verlassen und seine Seele gerettet hatte.
    Nach einer Weile faßte sich Riemann, lächelte verlegen, als wolle er seinen Ausbruch entschuldigen, und wurde wieder zum Staatsrat. Später begann er sachlich aufzuzählen, was alles er in Deutschland den Widerständen zum Trotz habe durchsetzen und wie viele verdiente Musiker er habe retten können. Doch Trautwein ließ nicht mit sich feilschen. Unerbittlich konstatierte er: »Vor der Musikgeschichte kommen Sie damit nicht durch. Es gibt keine unpolitische Musik. Wenn Sie heute als Musikdirektor des Dritten Reichs Musik machen, dann machen Sie schlechte Musik, und wenn sie noch so gut ist. Wer für gemeine Ohren Musik macht, macht gemeine Musik.«
    Diese Meinungsverschiedenheiten hinderten übrigens nicht, daß man später wieder sehr freundschaftlich wurde. Riemann erzählte, er falle jedes Jahr zwei- oder dreimal in Ungnade, werde kaltgestellt und dürfe ein paar Wochen nicht dirigieren. Diese Zeit pflege er zum Komponieren von Sonaten zu verwenden. Er habe in diesen zwei Jahren fünf Sonaten komponiert. Trautwein hatte nie ein Hehl daraus gemacht, daß er die Kompositionen Riemanns eklektisch fand, langweilig. Grinsend, trocken und herzlich erwiderte er, da wünsche er sich und seinem Freunde nur, daß der möglichst lange nicht mehr bei seinem Führer anecke.
    Trotz solcher Anzapfungen blieb Riemann bis nach Mitternacht, er spürte offenbar den Drang, zu schwatzen und sich aufzusperren, und als er schließlich ging, bat er Trautwein, er möge ihn ein Stück Weges begleiten. Sepp fragte gutmütig, ob das denn nicht für Riemann gefährlich werden könne, wenn er sich mit ihm auf der Straße sehen lasse. Dann aber gingen sie ein großes Stück Weges zusammen, wie sie in ihrem Leben viele Wege zusammen gegangen waren. Erst an der Place de la Concorde, wo Riemann wohnte, trennten sie sich. Trautwein bestieg seinen Autobus, und Staatsrat Riemann ging rund um den hellerleuchteten Platz, mit etwas steifem Schritt, ein bißchen vornübergeneigt, und verschwand im Eingang des Hotels Crillon.
10
Das Oratorium »Die Perser«
    Sepp stand der Rundfunkaufführung der »Perser« nach wie vor geteilten Gefühles gegenüber. Er wohnte einigen Proben bei, und es ergab sich bald, daß er sich mit dem Dirigenten und dem Orchester schlecht verstand; das, was er wollte, kam nicht heraus. Doch er war im Exil, er war im Gastland, er schlug nicht Krach, wie er das in Deutschland getan hätte; ja, auf die Frage, wie er zufrieden sei, rang er sich die Antwort ab: »Oh, ça va très bien.«
    Von Anna ging in dieser Zeit eine geradezu ansteckende Freude aus. Das Gefühl, daß nun bald alle Welt das Werk ihres Sepp hören werde und daß sie es war, die das geschafft hatte, beschwingte sie. Dazu kam, daß Riemann sich bereit erklärt hatte, die Aufführung gemeinsam mit ihnen anzuhören. Zwar ging es nicht wohl an, daß er etwa, zusammen mit Sepp und andern offiziell geladenen Gästen, der Aufführung selber beiwohnte. Aber wenn sich Sepp zum Beispiel

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