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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Riemann, nicht als politischer, aber als anständiger Mensch, gelegentlich gegen die Nazi aufbegehrt, und man hört auch, er habe sich für den oder jenen unter den Verfemten eingesetzt und dadurch die Ungnade der Machthaber auf sich gezogen.
    Auf alle Fälle ist es erfreulich, daß er sich gemeldet hat, und der Freitagabend wird sicher gemütlich werden. Man hat so viele gemeinsame Erinnerungen, gute und schlechte. Man hat zusammen bei Ludwig Thuille und Max Reger Harmonie studiert. Man hat Pumpgeschichten und Gschpusi-Erlebnisse zusammen gehabt. Sepp stellt sich vergnügt das würdige, gequälte, überlegene und dabei doch leise schmunzelnde Gesicht vor, mit welchem Riemann seine, Sepps, Anzapfungen aufnehmen wird.
    Anna, wie Sepp ihr mitteilte, Riemann werde Freitagabend kommen, errötete freudig. Auch sie hat gelesen, daß er hier dirigieren werde, aber sie hat mit Sepp nicht darüber gesprochen. Sie hat es für unwahrscheinlich gehalten, daß er sich bei ihnen sehen lassen werde. Daß er es nun doch tut, ist ein Ereignis. Daß Riemann es auf sich nimmt, sich zu kompromittieren, nurum Sepp einmal wieder zu sprechen, bestätigt ihr, daß nicht sie allein an Sepp als an einen großen Musiker glaubt. Und nicht nur ein großer Musiker ist ihr Sepp, sondern auch ein Mann, Freunde zu halten, selbst im Unglück. Kurzum, man ist noch immer wer, trotz des gesellschaftlichen Abstiegs, und lächelnd, ein bißchen amüsiert über sich selber, freut sich Anna darauf, bei Pereyros einfließen zu lassen: Übrigens, vorgestern hat Riemann bei uns zu Abend gegessen.
    »Das freut mich aber«, sagte sie strahlend, »daß wir Riemann einmal wieder zu sehen kriegen. Ich habe schon gelesen, daß er hier dirigiert. Es ist großartig, daß er bei uns angeläutet hat.« – »Das war doch selbstverständlich«, erwiderte Sepp und wußte schon nicht mehr, daß er log. »Da muß ich mich morgen gleich umtun«, sagte Anna, »damit wir ihm was Anständiges zu essen vorsetzen können.« – »Man könnte ja auch in ein Restaurant gehen«, schlug Sepp vor, der wußte, wie schwer es Anna fiel, bei ihrer knappen Zeit und unter den ungünstigen Wohnverhältnissen im Aranjuez Tischgäste zu haben. Aber: »Nein, nein«, wehrte Anna ab. Sepp, gegen seine Gewohnheit, bestand nicht auf seinem Vorschlag; in seinem Innersten spürte auch er, daß es schon anständig genug von Riemann war, wenn er mit ihm zusammenkam, und daß die Einladung, sich mit ihm, dem Emigranten, in einem Restaurant zu zeigen, eine Zumutung gewesen wäre. Aber davon sagte er nichts.
    Und dann kam der Freitag, und an ihm erschien wirklich Leonhard Riemann im Hotel Aranjuez. »Tatatataaa«, klopfte er das Achtelthema des Anfangs der Fünften Sinfonie. »So klopft das Schicksal an die Tür«, hatte Beethoven diesen Anfang erläutert, und so klopfend, war Leonhard Riemann in früheren Zeiten oftmals bei Sepp erschienen, wenn er überraschend kam oder ihm etwas Überraschendes mitzuteilen hatte.
    Da also saß er leibhaft in dem überstopften Zimmer, in dem schwarzen Wachstuchsessel. Er hielt seine langen Beine hochgestellt, kerzengerade, er saß würdig, in der Haltung des hohen Beamten. Sein blasses, schmales Gesicht mit demschüttern Haar hatte Farbe angenommen, als er Sepp wiedergesehen hatte. Er war größer als Sepp, sehr lang, leicht hohlbrüstig und hing ein wenig über. Er trug einen etwas altmodischen, langschößigen, korrekten Rock, wie er ihn immer getragen, er spielte mit seinen Handschuhen wie stets, und sein dünner Schnurrbart hing wie allezeit träumerisch und slawisch unter der dünnen Nase, gar nicht recht zu dem übrigen beamtenhaften Äußeren des Mannes passend.
    Leonhard Riemann war einer der drei oder vier Dirigenten von Weltruf. Das Regime mochte ihn nicht, aber man war auf ihn angewiesen. Er war der letzte der ganz großen Dirigenten, die dem Reich dienten; es war so weit gekommen, daß das musikalischste Volk der Erde keinen Dirigenten hatte außer ihm. Man ehrte ihn also durch Titel und Würden und ließ ihn verdienen, soviel er wollte. Trotzdem ging es ihm nicht gut. Er liebte seine Arbeit, aber es fehlten ihm für die ideale Verrichtung dieser Arbeit Menschen, auf die er angewiesen war. Es störte ihn bitter, innerlich und äußerlich, daß man Musiker und Komponisten vertrieben hatte, nur weil irgendeine idiotische Behörde aus politischen oder Rassegründen Anstoß an ihnen nahm, und daß er sich jetzt mit Ersatz begnügen mußte. Auch seine wahren

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