Exil
verfügen sie über ein unabhängiges Stromsystem, zumal heute der Filmabend der Marines ist. Wir werden durch das Tor in die Botschaftsresidenz gelassen, parken und gehen hinein. Es scheint niemand zu Hause zu sein.
»Also, wie gesagt, ich will nichts«, sagt Jack, als ich auf die riesige Küche zugehe.
»Und was soll ich essen?« Kochen kann ich nicht.
»Ich werd dir was machen«, sagt der indische Koch, der aus der Dienstbotenwohnung kommt. Die Wache hat ihm vermutlich erzählt, dass wir nach Hause gekommen sind.
»Was hätten Sie gern?«, fragt er auf Englisch.
»Wir kommen schon allein zurecht«, antworte ich auf Swahili.
»Das ist schon komisch, dass du diese Sprache sprichst«, sagt Jack. Was ist daran komisch? Ich habe fünfzehn Jahre hier gelebt. Die Speisekammer ist voll mit allen möglichen Konservendosen, in der Gefriertruhe liegen Fritten, Pizza, Lasagne, Torten. Jack holt Lebensmittel aus einem Kühlschrank, der einem amerikanischen Straßenkreuzer aus den Fünfzigern ähnelt; vier Menschen könnten aufrecht darin stehen.
»Bier?«, frage ich. Er dreht sich um und wirft mir eine Dose Carlsberg zu. Ich öffne sie vorsichtig, damit sie nicht spritzt. Jack ist mit einer Pfanne und dem Ofen beschäftigt; er fängt an, auf dem Küchentisch Kokain auszulegen. Da ist es so feucht, dass das Pulver klumpt. Vielleicht klumpt es, weil es voller Mist ist. Es stammt von Aziz.
»Ich probier’s mal«, sagt er, als er meinen Gesichtsausdruck sieht. Er zieht eine kleine Linie in die Nase, schüttelt den Kopf, blinzelt mit den Augen. »Irgendetwas ist damit nicht in Ordnung.« Mit einer raschen Handbewegung fegt er den Rest auf den Fußboden. Schritte nähern sich, der Botschafter.
Manöver
»Hey, Sam«, begrüßt mich Jacks Vater und lächelt mit seinen großen viereckigen Zähnen; so weiß, dass sie schon künstlich wirken. Aber alle haben weiße Zähne, auch die Neger. Im Grunde ist er doch genau wie sie: Fleisch und Blut und darunter ein Skelett. Nur denkt er nicht daran. Er hofft nur, dass sein Sohn endlich Geschmack an Mädchen findet, dass so ein burschikoses Mädchen wie ich das Problem lösen kann.
»Hey, Mr. Botschafter.«
»Wie geht’s?«
»Im Moment geht’s mir prächtig«, erwidere ich und hebe die Bierdose.
»Ja, äh, und was treibt ihr so?«
»Sam wollte etwas essen«, sagt Jack.
»Nun ja, okay. Geht ihr rüber in den Marine’s Club?«
»Vielleicht«, sage ich.
»Und wie geht’s deinem Vater?«, fragt er, obwohl er ihn nur ein einziges Mal im Yachtklub begrüßt hat. Allerdings weiß der Botschafter bestimmt, wer mein Vater ist – und hat gehört, dass es allmählich eng für ihn wird.
»Er sucht einen Krieg«, antworte ich.
»Was … meinst du?«
»Sie wissen, was ich meine. Er ist Söldner. Tansania ist ihn leid, weil man glaubt, dass er irgendetwas auf den Seychellen vorhat. Außerdem schuldet er dem Staat wegen seines Hotels in Tanga eine Menge Steuern. Vielleicht schmeißen sie ihn raus.«
»Tja«, sagt der Botschafter und nickt. »Hm«, fügt er hinzu. »Und was ist mit dir, Sam? Wie geht es weiter?«
»Nach England, wie es aussieht.«
»Willst du studieren?«
Ich muss lachen. »Mein Examenszeugnis aus der zehnten Klasse kennen Sie nicht, oder?«
»Ist es schlecht?«
»Es existiert überhaupt nicht!«
»Nun ja. Aber es ist schön … dass ihr beiden euch zusammen amüsiert.«
»Und was haben Sie vor?«, erkundige ich mich und lasse meinen Blick über ihn gleiten; er trägt einen dunklen Anzug und Krawatte.
»Abendessen in der saudi-arabischen Botschaft.«
»Kein Schweinefleisch und keinen Alkohol«, sage ich.
»So schlimm wird’s schon nicht werden.«
»Trinken die? Wie ungläubige Hunde?«
»Sie folgen dem Koran«, antwortet der Botschafter. »Und im Koran steht, dass man den Gebräuchen der Fremden folgen kann, wenn man unter ihnen lebt.«
»Praktisch«, erwidere ich. »Und Ihre Frau?«
»Sie ist noch immer daheim.« In den USA . Von Jack weiß ich, dass seine Mutter Alkoholikerin ist und sich zum Entzug in einer Betty-Ford-Klinik in Kalifornien aufhält. Es wird behauptet, der Botschafter sei Stammkunde bei Margot’s – dem teuersten Bordell von Daressalaam.
Jack will nichts essen. Er geht ins Wohnzimmer und legt Billy Joel auf: Schwulenpop. Dann nimmt er sich eine Gabel und isst mit einem traurigen Gesichtsausdruck über die Hälfte des Essens von meinem Teller.
»Wollen wir uns den Film ansehen, Sam?«
»Okay.« Welche Alternativen gibt es? Ich
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