Exil
seinen Vater, der Christian bei irgendwelchen Schweden unterbringt. Außerdem hat sein Vater zu einem Treffen in der Schule zu erscheinen, sobald er wieder in Moshi ist. Eigentlich müsste Christian hinausgeschmissen werden, aber sein Schulgeld wird in ausländischer Valuta bezahlt. Die Schule kann es sich nicht leisten, weitere Einnahmen zu verlieren.
Eine Woche später kommt Christian als Internatsschüler ins Kijana.
»Das war die Scheißforderung, weil der Alte so oft unterwegs ist«, sagt er. »Entweder er meldet mich als Internatsschüler an, oder sie nehmen mich gar nicht mehr.«
»Das nächste Mal, wenn irgendetwas los ist, fliegst du.«
Christian grinst. »Ganz genau.«
»Du musst es doch nicht auch noch provozieren.«
»Nein, aber es ist ein gutes Gefühl, wenn man Herr über die Situation ist.«
»Ja, aber es wäre langweilig, wenn du nicht mehr da wärst.«
»Hier darf man doch sowieso nichts«, sagt er. »Wie im Gefängnis.«
Ich gehe ins Kilele und lege mich in meinem neuen Zimmer aufs Bett, starre an die Decke. Ich bin aus dem Kiongozi ausgezogen und wohne jetzt bei den ältesten Mädchen, weil ich mich ständig mit Truddi gestritten habe.
Das Kilele ist das bessere Haus. Ich teile das Zimmer mit Adella, einem Mädchen aus Uganda, das so gut wie nicht spricht. Ihre Eltern und zwei ältere Brüder wurden von Idi Amin ermordet. Adella und ihr kleiner Bruder sind nach Tansania geschickt worden, sie sollten überleben. Idi Amin hat den Rest ihres Klans umgebracht. Sie und ihr jüngerer Bruder sind hier mit einem Stipendium, das die Exilgemeinde des Stammes in Europa bezahlt. Ich mag sie gern. Wenn abends das Licht gelöscht ist, setzt sie sich an den Schreibtisch und dreht einen Joint. Bevor sie ihn anzündet, drückt sie ein Handtuch unter den Türspalt, damit kein Rauch hinausdringt. Wir rauchen schweigend. Es ist sehr gemütlich.
Normalerweise achte ich jetzt auf meine Sachen und provoziere keinen Ärger.
Hosendieb
Es ist mein siebzehnter Geburtstag. Am Nachmittag muss ich zum Zwangstennis. Sally lässt mich mit einer kleinen indischen Göre spielen, die Naseen heißt. Sie stolziert auf ihren hohen Hacken herum und trifft keinen Ball. Ich ziele absichtlich auf sie, um ihr Angst zu machen.
»Mwizi, mwizi!« Der Schrei kommt von den Lehrerwohnungen am anderen Ende des Spielfelds. Ich werfe meinen Schläger beiseite und laufe zusammen mit einigen anderen Schülern hin. In einem der Gärten stehen zehn, zwölf Männer und Frauen, Köche und Hausmädchen aus den Lehrerwohnungen und einige Gärtner der Schule. Sie schreien und treten auf einen Mann ein, der auf der Erde liegt. Mein Englischlehrer, Mr. Cooper, kommt angerannt.
»Stopp! Aufhören!«, brüllt er. Widerstrebend wird von dem Mann abgelassen, die Leute treten ein wenig zur Seite. Der Mann liegt zusammengekrümmt auf der Erde, blutet aus Wunden am Kopf und im Gesicht. »Was macht ihr denn da?«, ruft Cooper. Ein Hausmädchen bückt sich und hebt ein Paar Jeans vom Boden auf.
»Er hat versucht, deine Hose von der Wäscheschnur zu stehlen«, sagt sie auf Swahili.
»Was sagt sie?«, will Cooper wissen. Ich übersetze. Der Mann am Boden blutet aus dem Mund, vielleicht hat er innere Blutungen.
»Ihr seid doch verrückt«, sagt Cooper auf Englisch und schüttelt den Kopf.
»Wir haben deine Jeans gerettet«, erwidert das Hausmädchen stolz. An der Busstation kann man sie für einen Monatslohn verkaufen. Ich erkläre es Cooper. Owen ist dazugekommen, Cooper bittet ihn, den Pick-up der Schule zu holen.
»Ja, er muss zur Polizei gebracht werden«, sagt ein Gärtner auf Englisch.
»Er muss ins Krankenhaus«, widerspricht Cooper.
»Erst zur Polizei«, beharrt der Gärtner. Cooper antwortet nicht.
Der Pick-up kommt, der malträtierte Dieb wird fortgebracht. Die Schläger im Garten jubeln vor Begeisterung über ihre gute Tat.
Fisch
Im Speisesaal sitzt Panos an einem Tisch mit dem Katzenfreund Sandeep und Adella. Ich gehe zu ihnen. Auf dem Speiseplan steht Fisch – eine Seltenheit im Landesinneren, denn es gibt kaum Kühltransporter in Tansania. Nil-Barsch aus dem Victoriasee. Es riecht gut. Ich lade meinen Teller voll und reiche die Schüssel weiter an Sandeep, probiere einen Löffel. Es schmeckt auch gut.
»Nein, danke«, lehnt Sandeep ab.
»Isst du keinen Fisch?«
»Ich bin aus Bukoba.«
»Ja«, sage ich, »am Victoriasee. Esst ihr in Bukoba keinen Fisch?«
»Nicht nach Idi Amin. Danach wollte meine Mutter uns nie wieder Fisch
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