Exil
des Löwen, Lion of Zion, ohne sie ist man schwach.
»Rasta sitzt nicht in den Haaren, es ist ein inneres Gefühl«, behauptet er und fügt hinzu: »Meine Kopfhaut hat gejuckt, sie mussten ab.« Er geht.
Aziz grinst boshaft.
»Was ist?«, will ich von ihm wissen.
»Salomon hat geschlafen, als sein Vater ihm die dreads abgeschnitten hat. Als er aufwachte, war er nur noch auf einer Seite Rasta.«
»Der äthiopische Botschafter steht nicht so auf Rasta, was?«
»Nein«, bestätigt Aziz.
Auf dem Flur treffe ich Jarno, der ein trauriges Gesicht zieht, obwohl er seine Dreadlocks noch hat. Diana hat sich in den Ferien in einen amerikanischen Marine verliebt. Ich erzähle Panos nichts davon, denn inzwischen küsst sie wieder ihn.
Telegramm
Eine Sekretärin holt mich mitten in Geschichte aus dem Unterricht. Was habe ich nun wieder verbrochen? Im Büro sitzt Owen mit einem ernsten Gesichtsausdruck.
»Für dich ist ein Telegramm gekommen.« Ich lächele. Er sieht überrascht aus. »Hast du ein Telegramm erwartet?« Mir wird klar, dass er schlechte Neuigkeiten vermutet: ein Unglück, einen Todesfall, einen Unfall.
»Ja.« Ich reiße das Telegramm auf. ›Bin im YMCA . V.‹ »Meine Kusine hat eine Tochter zur Welt gebracht, sie wird Samantha heißen.« Ich schenke Owen ein Lächeln.
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Danke.« Ich wedele mit dem Telegramm durch die Luft, als ich das Büro verlasse. Nach der letzten Stunde lasse ich das Mittagessen ausfallen. Ich laufe sofort auf den Parkplatz, höre aber, wie Christian sein Motorrad anlässt. Ich warte, bis er gefahren ist, und lasse mich von ein paar Deutschen mitnehmen, die in der Nähe der Polizeischule wohnen. Das letzte Stück bis zum YMCA laufe ich. Victor ist nirgendwo zu sehen.
»Mein Onkel wohnt hier«, behaupte ich an der Rezeption. »Victor Ray, welche Zimmernummer hat er?« Der Hotelangestellte gibt mir die Nummer, ich fahre in den dritten Stock und finde das Zimmer. Ich spüre ein eigenartig träges Gefühl in meinen Beinen, alles ist bereit. Ich klopfe. Victor öffnet, nackter Oberkörper und Boxershorts, er tritt aus der Tür.
»Samantha!«, ruft er und hebt mich hoch. Ich liege in seinen Armen, er beugt seinen Kopf hinunter und küsst mich. »Jetzt werde ich dich dorthin tragen, wo du hingehörst!«
»Ja«, sage ich, als er mich aufs Bett legt.
»Ich habe dich vermisst«, sagt er und beginnt, mich auszuziehen. Küsst jedes Stück nackte Haut, das er entblößt; kleine Wasserzungen, die sich den Strand hinauflecken, bis sie allmählich wachsen, die Wellen sich endlich brechen und den ganzen Körper ins Meer saugen.
Zurück zur Schule fahre ich mit einem Taxi und benehme mich, als wäre nichts geschehen. Alles so wie immer. Niemand kann mir Victor ansehen. Es ist mein Geheimnis. Es ist schön.
Privatperson
Christians Vater ist verreist, und Christian schwänzt ständig. Geht auf die Toiletten und raucht. Wird erwischt und bekommt eine Verwarnung.
Freitag ist Fete im Kilele-Haus. Ich gehe mit Tazim hin. Es ist ein bisschen langweilig, bis ich ein Motorrad höre. Christian. Er hält auf der Straße vor dem Zaun, steigt ab und zündet sich eine Zigarette an. Ich trete an den Zaun. Es ist keine gewöhnliche Zigarette.
»Hey, Samantha. Willst du ’n bisschen bhangi ?« Er kommt zum Zaun und steckt das Ende des Joints durch den Maschendraht.
Seppo hat ihn entdeckt, kommt aus dem Tor und erklärt: »Christian. Du hast augenblicklich vom Schulgelände zu verschwinden. Montag um acht Uhr erscheinst du im Büro bei Owen.«
»He, du bestimmst nicht, was ich mache. Ich bin ein Mann auf der Straße, der sein Kraut raucht. Ich bin eine Privatperson. Du hast keinerlei Rechte mir gegenüber.«
Christian nimmt noch einen Zug, zieht ihn tief in die Lungen und sieht Seppo dabei direkt an, dann bläst er den Rauch in seine Richtung. Seppo geht auf ihn zu. Christian hebt seine Faust, der Joint sitzt zwischen Zeige- und Mittelfinger.
»Wenn du mich anfasst, fasse ich dich auch an«, sagt er. Seppo bleibt stehen. Christian lacht, steckt den Joint in den Mund, setzt sich aufs Motorrad und fährt, bis die Dunkelheit ihn verschluckt.
Ich frage ihn am Montag. Er soll eine Woche suspendiert werden, aber sie können seinen Vater nicht erreichen, darum kann er bis auf weiteres am Unterricht teilnehmen. Der Schulleitung ist erst jetzt klar geworden, dass er allein zu Hause wohnt, wenn sein Vater unterwegs ist. Und was macht Christian ohne Aufsicht? Irgendwann erreichen sie
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