Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exil

Exil

Titel: Exil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
Vom Netzwerk:
essen lassen.« Sandeeps Vater ist Inder, und Idi Amin hat alle Inder aus Uganda herausgeschmissen, aber Sandeeps Mutter ist eine Schwarze – er ist der einzige Mensch, dem ich bisher begegnet bin, der ein halber Schwarzer und ein halber Inder ist.
    »Ja und, was hat Idi Amin mit Fisch zu tun …?«, setze ich an, dann wird es mir klar. Idi Amin: Massenmörder. Er bestückte Tiefkühltruhen mit den Köpfen seiner Opfer, um sie jederzeit herausholen und mit ihnen reden zu können. Er brachte dreihunderttausend Menschen um. Unzählige Leichen wurden in den Victoriasee geschmissen, die Krokodile feierten Partys, der Fischbestand wuchs. »Kannibalismus?«
    »Fast«, sagt Sandeep. »Willst du einen Fisch essen, der einen Mann gefressen hat?« Ich schiebe meinen Teller zur Seite.
    »Das ist doch lange her«, meint Panos.
    »Wie schmeckt ein Ugander?«, frage ich.
    »Tsk«, schnalzt er und steckt die Gabel in einen weiteren Bissen. Ich schaue hinüber zu Adella. Sie isst nur Huhn, kein anderes Fleisch. Sie sieht vollkommen panisch aus. Panos hält das Stück Fisch in die Luft und schaut es sich an: »Gut, dann hat der Fisch eben Idi Amins Feinde gefressen, Männer von Ehre, gute Leute. Diese Männer schmecken gut.« Er steckt das Stück in den Mund, kaut. Adella lacht hysterisch, dann beginnt sie zu weinen und heftig zu husten; sie steht abrupt auf und stürzt aus dem Speisesaal. »Was ist denn los?«, erkundigt sich Panos.
    »Ihre Eltern wurden von Idi Amin ermordet«, sage ich und schaue auf seinen Fisch. Panos nickt.
    »Gute Leute«, erklärt er und isst weiter.
    Später am Abend krieche ich in Adellas Bett und nehme sie in den Arm. Sie weint noch immer, doch allmählich beruhigt sie sich und erzählt.
    »Wir wurden nachts von einem Fischer aus Port Bell fortgebracht. Es war dunkel und windstill. Er ruderte vom Strand weg, dann startete er den Motor und steuerte nach den Sternen und dem Licht an der Küste. Nur mein Bruder und ich waren im Boot, und ich hatte Angst, weil ich den Fischer nicht kannte. Er hatte seine Bezahlung bekommen, er hätte uns einfach über Bord schmeißen können. Mein Bruder schlief ein, aber ich hielt mich wach. Nach einer langen Zeit wurde es am Horizont allmählich grau, es war früh am Morgen. Und dann stieß das Boot auf irgendetwas Großes, und der Fischer drosselte die Geschwindigkeit. Ich fragte, ob es ein Krokodil gewesen sein könnte, denn ich konnte nichts sehen, das Wasser war noch immer dunkel. Er sagte, ich solle meine Augen schließen, aber ich wollte meine Augen nicht zumachen, weil ich Angst vor ihm hatte. Doch das Boot stieß weiterhin an Dinge, und es roch so merkwürdig, und er fragte, ob ich meine Augen noch immer geschlossen hätte, und ich sagte, ja. Dann wurde es heller, und gleichzeitig erhöhte er das Tempo, die Hindernisse wurden vom Bug beiseite geschoben, und ich guckte – es war hell genug. An der Wasseroberfläche schwammen überall aufgequollene Leichen, einige von ihnen halb aufgefressen von den Krokodilen und Fischen. Idi Amin hat gern Fische gefüttert.«
    Adella presst meine Arme fest an ihre Brust.
    »Na, na«, rede ich beruhigend auf sie ein, »es ist überstanden.«
    »Ich muss dann immer an meine Familie denken«, sagt Adella. »Ich hätte dort im Wasser liegen können.«
    Mutters Hund
    Bald sind Weihnachtsferien. Vater ist in Uganda oder in Zaire oder … er hat mir geschrieben, dass ich wie irgendein Bauer den Bus nach Tanga nehmen soll. Was soll das? Die Telefonleitung ist unterbrochen, und ich kann nicht einmal Alison erreichen, um mich zu erkundigen, was los ist. Ob sie da sein wird.
    »Sam. Telefon!«, ruft Adella. Ich springe aus dem Bett, renne hin.
    »Wer ist es?«
    Adella gibt mir lächelnd den Hörer.
    »Samantha am Apparat«, melde ich mich.
    »Schätzchen, nennen sie dich Sam?«
    »Mutter!«
    »Hallo. Wie geht es dir?«
    »Kommst du uns Weihnachten besuchen?«
    »Nein. Ich kann nicht. Ich muss arbeiten.«
    »Ach schade … komm doch.«
    »Was macht die Schule?«
    »Na ja, es ist grauenhaft. Es ist eine Schule. Wieso kannst du nicht wenigstens in den Ferien kommen? Vater muss doch zahlen.«
    »Ich ertrage deinen Vater nicht mehr. Es geht mir gut hier. Wenn du die Schule beendet hast, wirst du bei mir wohnen.«
    »In England?«
    »England ist nicht schlecht, Samantha.«
    »Es ist scheißkalt, und die Leute sind ziemlich eigenartig.«
    »Dann sind wir wieder zusammen«, sagt Mutter.
    »Ist das etwa beschlossen? Habe ich da gar nichts

Weitere Kostenlose Bücher