Exil
sondern wenn ich es am wenigsten erwarte. Aber vielleicht ist das inzwischen überstanden, immerhin bin ich fast erwachsen.
»Was willst du dort?«
»Nur ein paar Geschäfte«, antwortet er. Wenn er von seinen Geschäftsreisen nach Hause kommt, erzählt er ein bisschen, aber immer nur harmlose Sachen. Ich gähne. Brauche eine Zigarette. In der Schule reden wir auch nicht über die Arbeit unserer Eltern.
»Wieso fragst du danach? Ist doch vollkommen egal. Sie sind einfach alt. Ich hab damit nichts zu tun.« Die Leute sind beleidigt, wenn man sie fragt – ich bin beleidigt. Die skandinavischen Jungen meinen alle, sie seien Rastafari, Afrikaner. Rasta – was soll das? Eine Entschuldigung fürs bhangi -Rauchen? Ein Trupp blasser Jamaikaner mit ungepflegten Haaren und positiven Vibrationen, die Afrika für fantastisch halten? Aber wir sind nach wie vor nur die Beifahrer unserer Eltern. Wir sind Kinder. Ich bin hierher geholt worden, als ich drei Jahre alt war. Wir haben von dem Wissen gelebt, das meine Eltern aus England mitgebracht haben. Wir sind keine Afrikaner. Und jetzt sagt Vater, ich soll nach der Schule zurückgehen. Es ist absurd. England ist ein fremdes Land.
Vater sitzt im Flugzeug und versucht, wie ein Zivilist auszusehen: hellblaues Hemd und eine Hose mit Bügelfalten. Was glaubt er eigentlich, wo er ist? Ehemaliger SAS -Soldat, britische Elitetruppe. Und jetzt Söldner, Geschäftsmann und Familienoberhaupt. Ein Schurke mit Herz? Er steht stets um fünf Uhr morgens auf, um »etwas vom Tag zu haben«, wie er sagt. Das ist kein Problem, denn der Abend beginnt vor sechs mit einem Sundowner, und um zehn hat er die Dämonen so gründlich ertränkt, dass er fertig ist. Vorwärts, vorwärts. Denkt er jemals an etwas anderes als die konkreten Projekte, mit denen er sich beschäftigt? Ich will so nicht sein. Alles, was er in seinem Leben tut, ist falsch. Es kommt nichts Gutes dabei heraus.
Sturz
Taxi vom Flughafen, eine Woche zu früh. Was soll ich in der Schule? Hoffentlich ist Adella da. Ich bringe den Fahrer dazu, um die Stadt herumzufahren, zum Markt, bitte ihn zu warten. Gehe zu Phantom in dem kleinen Kiosk am Eingang und muss ihm einen Wucherpreis anbieten, bevor er zugibt, etwas zu haben, das er mir in Zeitungspapier verpackt überreicht.
Mein Hausboss im Kilele ist Missis Smith. Sie hat nichts davon gehört, dass ich kommen würde, und Adella ist auch nicht da. Missis Smith seufzt: »Du kannst im Speisesaal zu Abend essen, dort bekommen um halb sieben die Nachtwachen ihr Essen. Frühstück und Mittagessen kriegst du bei uns.« Verflucht, ich will nicht bei Familie Smith essen.
»Ich will Ihnen nicht zur Last fallen«, sage ich. »Sagen wir einfach, Ihr Koch gibt mir einen Teller.«
»Okay, ich sage ihm Bescheid.«
Ich bin ganz allein im Kilele. Ich setze mich hinter das kleine kibanda im Garten, ein paar Schüler treiben es dort miteinander. Drehe einen Riesenjoint und rauche, bis meine Zunge sich grün anfühlt. Lege mich ins Bett. Es ist kein gutes bhangi , ich werde müde und lustlos, der Motor stottert. Lasse die Finger über die Mauer gleiten, als ich den Flur zur Toilette hinunterwackele. Setze mich. Merkwürdiges Gefühl … Scheiße … ich habe mein Höschen nicht heruntergezogen. Oh nein!
»Verfluchte Scheiße!« Ich fange an zu schluchzen. Heule, als ich hinauswanke, schlage die Toilettentür wieder und wieder gegen die Wand. Sie bricht, der obere Teil splittert. Ich lehne mich dagegen, fasse an den Türgriff und versuche, mir den Slip auszuziehen, ohne mir die Beine mit Scheiße zu verschmieren. Ich habe Scheiße an den Fingern, und mir versagen die Beine, der verschmierte Slip hängt mir um die Knöchel, ich sinke zu Boden. Jemand kommt. Missis Smith – der Gärtner muss mein Heulen gehört haben. Es ist so demütigend.
»Malaria«, sage ich, denn Malaria kann einen total fertigmachen und ist normal in der Region Tanga – die harte Variante. Damit kann man nicht klar denken.
Weiße Menschen
Missis Smith schafft mich unter die Dusche, holt ein Handtuch für mich. Danach fährt sie mich in die Krankenstation zu mama Hussein.
Mama Hussein stützt mich auf dem Weg ins Behandlungszimmer, legt mich auf ein Bett. Sie fasst mir an die Stirn, schaut mir in die Augen, misst meine Temperatur.
»Du bist high«, konstatiert sie. Keine Malaria. »Wieso hast du dich so zugedröhnt, Samantha?«
»Ich musste einfach … mal aus meinem Kopf heraus.«
»Aber wieso? Ist dein Kopf denn kein guter
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