Exil
Biafra ging.
»Aufgezogen hat uns doch Mutter«, sage ich.
»Ja, und eure Mutter hat es mir auch schwer gemacht mit euch als Kleinkindern«, grinst er und wendet sich Frans zu. »Wenn Frauen Kinder bekommen, findet man erst heraus, wer sie eigentlich sind. Alles, was vorher da war, verschwindet. Die Kinder ändern ihren Charakter und ihre Persönlichkeit vollkommen. Dann gehört sie nicht mehr dir, sondern ihnen.«
»So schlimm ist es wohl auch wieder nicht«, sagt Alison.
»Und es ändert sicher auch den Mann«, füge ich hinzu.
»Ja, aber nicht so viel. Der Mann kann nicht stillen, er bleibt außen vor. Aber was sich verändert, ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Es liegt am Schlafmangel. Wenn die Frau ein halbes Jahr ohne Schlaf gelebt hat, fällt die Schale der Zivilisation ab und das wirklich Ungeheure erscheint. Nicht zu schlafen ist Folter, die meisten zerbrechen daran.« Wieder schaut er Frans ins Gesicht. »Du ahnst nicht, auf was du dich da einlässt«, sagt Vater. Frans lächelt und erwidert nichts. »Eure Mutter wurde fast wahnsinnig«, fügt Vater hinzu.
»Und trotzdem hast du jetzt noch eins gemacht?« Er sieht mich verständnislos an. »Halima«, helfe ich ihm. Kann der Idiot sich nicht mal daran erinnern, wen er begattet hat?
»Afrikanische Frauen sind nicht so. Die arbeiten, bis die Wehen einsetzen, und dann arbeiten sie weiter, bis das Kind kommt; nicht dieses ganze Gewinsel.«
»Oh, Mann, jetzt halt aber die Klappe!«, sagt Alison.
»Ist doch wahr.«
»Hör auf mit deinem blöden Gequatsche über Frauen, solange Frans dabei ist; ich will nicht, dass das auch noch abfärbt.«
»Nur die Ruhe«, meint Frans. »Ich bin nicht wie dein Vater.«
»Nein«, sagt Vater. »Das bist du nicht.«
Alison faltet die Hände und schaut zum Himmel: »Danke, Gott. Amen.«
»Was hättest du eigentlich getan, wenn Alison sich so jemanden wie dich ausgesucht hätte?«, frage ich ihn.
»Alison ist meine Tochter«, sagt er und schaut sie an. »Ich glaube also nicht, dass sie so dumm wäre, sich jemanden wie mich auszusuchen.«
»Wieso ist dein Kumpel nicht auch hier?«, erkundigt sich Alison.
»Mein Kumpel? Juma?«
»Nein, nicht Juma. Dieser Victor.«
»Warum sollte ich ihn hier dabei haben?«
»Es sieht so aus, als wären die Seychellen genau das Richtige für dich und für ihn.«
»Du redest, als würdest du etwas davon verstehen.«
»Ja, ich bin nicht so dumm«, erwidert Alison. »Was treibt er?«
»Vermutlich ist er in Angola.«
»Und wovon lebt er?«
Vater senkt den Kopf und schaut sie unter zusammengezogenen Augenbrauen an.
»Da wirst du ihn schon selbst fragen müssen.«
»Und wovon lebst du?«, fragt Frans nach.
»Das ist meine Sache«, entgegnet Vater.
Familienoberhaupt
Alison und Frans steigen in Daressalaam aus; ich wünschte, ich könnte bei ihnen bleiben. Das Flugzeug startet wieder. Wir nähern uns dem Kilimandscharo.
»Holt uns jemand ab?«, frage ich Vater.
»Du nimmst einfach ein Taxi zurück zur Schule.«
»Ich muss aber noch nicht zur Schule, ich habe noch über eine Woche Ferien.«
»Ja, aber du kannst nicht mitkommen. Mahmoud kommt mit dem Land Rover zum Flughafen, ich muss sofort zum Victoriasee.«
»Ich kann doch in der Mountain Lodge bleiben, bis die Schule anfängt.«
»Nein«, lehnt Vater ab. »Wir können nicht ständig ihre Gastfreundschaft ausnützen.«
»Aber vielleicht ist niemand in der Schule.«
»Es gibt ein paar Schüler, die in den Ferien dort bleiben. Ich habe mit der Schule gesprochen.«
»Aber …«
»Nein«, unterbricht er mich. Idiot. Was will er am Victoriasee? Bei Shinyanga wird nach Diamanten gegraben, aber das sind kleine Fische. Gold, Diamanten und Kupfer in Zaire. Kupfer in Sambia. Die ganze Gegend: Unruhen und Kriegshandlungen – in Zaire, Uganda, Ruanda. Zu viele Menschen, gute Ackererde, Mineralien. Vielleicht muss er die Wachmannschaft für eine Minengesellschaft trainieren, oder einen Trupp unwissender Dorfbauern, die für den jüngsten Stammeskrieg ausgehoben wurden, an Waffen ausbilden. Die aufständischen Soldaten können weder lesen noch schreiben. »Das Schwierigste, was die in ihrem Leben bisher bedient haben, ist eine Sturmlaterne«, behauptet Vater immer. Er unterrichtet sie im Gebrauch und der Pflege von Waffen, außerdem in den Grundformen von Taktik. Ich soll nicht nach seiner Arbeit fragen – und auch nicht darüber reden. So sind die Regeln meiner Erziehung. Er schlägt mich, wenn ich es tue. Nicht sofort,
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