Exil
Ort?«
»Nein, es ist so … verwirrend. Weil meine Mutter nach England abgehauen ist, und mein Vater …« Ich fange wieder an zu weinen, ich erzähle zu viel. »Nach der zehnten Klasse will er mich nach England schicken, und seine Nutte zieht bereits bei uns zu Hause ein.«
»Seine Nutte?«
»Eine Kellnerin vom Restaurant, die er fickt.«
»Wieso nennst du sie eine Nutte? Sie ist auch ein Mensch. Vielleicht mögen sie sich.«
Ich schaue mama Hussein an: »Wie soll ich sie denn deiner Ansicht nach nennen? Eine Träumerin?«
»Du sollst also nach der Zehnten nach England. In einem halben Jahr?«
Ich seufze: »Ja.«
»Und was sollst du da?«
»Sterben.«
»Was meinst du?«
»Sie ermorden mich.«
»Wer?«
»Die weißen Menschen.«
»Welche weißen Menschen?«
»Die Engländer. Die weißen Menschen in England.«
»Und warum?«
»Weil ich … weil ich zu schwarz bin.«
»Du bist weiß«, erwidert mama Hussein. »Sie werden dir den Neger nicht ansehen.«
»Außen bin ich weiß. Aber innen … ganz grau.«
»Was hast du vor?«
Ich zucke die Achseln. Ich weiß es nicht.
Nebel
Mama Hussein behält mich bei sich. Ich denke an Victor, aber was hilft das? Ich weiß nicht, wie ich ihn erreichen kann. Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn ich ihn treffe. Ich weiß überhaupt nichts. Ich hole mir eine Erkältung und bekomme Durchfall. Nach einer Woche darf ich zurück ins Kilele. Es fängt an zu regnen. Es stürzt herunter. Alles wird feucht. Der Schweiß perlt bereits aus den Poren, wenn man morgens zu fest in den Toast beißt. Die Handtücher werden nicht mehr trocken. Alles riecht nach altem Schimmel – stockfleckig.
Heute sollten die Internatsschüler zurückkommen, aber es sind nicht sehr viele. Wie sich herausstellt, sind alle, die aus Dar kommen sollten, am Flughafen gestrandet, weil der Präsident das Flugzeug für eine Reise nach Kampala brauchte; und die anderen Maschinen sind kaputt.
Die Schule beginnt am nächsten Tag, die Klassenzimmer sind halb leer. Am späten Nachmittag tauchen die anderen auf. Tazim hat lange nicht mit mir gesprochen. Nun redet sie wieder mit mir, als wäre nichts geschehen. Ich frage sie nicht. Ignoriere sie. Und dann ist wieder normaler Unterricht, alle lernen wie die Verrückten; die Examen stehen vor der Tür. Tazim und Salomon haben Probleme miteinander, sie läuft wieder zum Priester. In einigen Wochen bekommen wir Lernferien bis zum Examen. Es ist kaum auszuhalten. Ich kann mich einfach nicht zusammenreißen. Zu lernen, zum Examen zu gehen … das sagt mir gar nichts. Irre nur wie im Nebel umher.
Zum Tode verurteilt
Die Lernferien kommen näher. Christian wohnt jetzt bei den ältesten Schülern im Kishari, weil es dort einen freien Platz gab. An einem Wochenende bricht Panik unter den Lehrern aus, die für ihn verantwortlich sind. Christian ist verschwunden. Natürlich ist er bei Marcus, seinem einheimischen Freund in der Stadt. Als er am Sonntagnachmittag zurückkommt, hat man eine Sitzung im Büro einberufen. Es ist erst ein paar Monate her, seit er Internatsschüler wurde. Jetzt wird er rausgeschmissen. Endgültig.
»Die letzte K.C. des zum Tode Verurteilten!«, ruft Christian und trinkt Konyagi-Cola aus einer Cola-Flasche. Wir stehen vor Mboyas und haben ein paar kleine Plastiktüten mit Konyagi gekauft, den wir nach ein, zwei Schlucken in die Cola-Flasche gießen. Nur, um die Cola ein bisschen zu verlängern, damit’s einen Kick gibt. Diana und Truddi sitzen auf einer Bank und starren uns an. Wir setzen uns so weit wie möglich von ihnen entfernt auf den Hof. Die Bultaco unter den Bäumen im Schatten gibt beim Abkühlen des Motors klickernde Geräusche von sich. Es ist Samstag. Christian fährt morgen mit seinem Vater nach Shinyanga. Dann soll er nach Dänemark fliegen. Er wird im Keller seiner Tante wohnen und in einigen Monaten in der elften Klasse in Dänemark von vorn anfangen.
»Du wirst es schon schaffen«, sage ich.
»Ja.« Er zündet eine Zigarette an und hält sie mir mit zwei Fingern hin, damit ich einen Zug nehmen kann. »Ich freue mich darauf, von hier weg zu kommen und mein eigenes Leben zu leben.«
Er gibt mir noch einen Zug, und ich puste einen dicken Rauchring über ihn. Christian hebt die Hand und steckt den Zeigefinger hindurch.
»Das könnte dir so passen«, sage ich.
»Ich bin da schon mal gewesen«, erwidert er. Ich boxe ihn gegen die Schulter. Auf der Bank verzieht Truddi das Gesicht: »Ihr seid doch krank!«
»Halt die
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