Exil
an.
»Vater sitzt im Gefängnis«, erzählt Alison.
»Was? Wieso?«
»Die Militärpolizei hat ihn in Arusha festgenommen, und jetzt sitzt er irgendwo in Dar. Es geht um die Seychellen.«
»Hast du mit ihm geredet?«
»Ja, er hat einen Anwalt. Er ist nicht richtig verhaftet, er wird nur festgehalten, solange sie die Sache untersuchen. Aber er riskiert, rausgeschmissen zu werden.«
»Und …«, beginne ich einen Satz, breche aber ab.
»Er behauptet, er hätte mit seiner Familie Ferien gemacht. Ich rufe dich in der Schule an, sobald sich etwas Neues ergibt«, verspricht Alison.
»Hast du mit Victor geredet?«
»Victor? Weshalb?«
»Na ja … vielleicht weiß er etwas?«
»Keine Ahnung, wo der steckt«, erwidert Alison. Wenn Vater des Landes verwiesen wird, verliere ich meine Aufenthaltsgenehmigung. Ich bin siebzehn und kann ohne Arbeit unmöglich im Land bleiben. Ich könnte nicht einmal heiraten, selbst wenn ich jemanden hätte, der mich heiraten wollte.
Regelbruch
In der Schule laufe ich in meinem Nebel herum. Die ältesten Schüler brechen sämtliche Regeln. Sie absolvieren bald die abschließenden Examina der zwölften Klasse und wissen, dass man jetzt nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit fliegt; die Schule braucht einen ordentlichen Prozentsatz erfolgreicher Absolventen, um neue Schüler anzulocken. Wir hören von mehreren Fällen: Salomon ist ständig stoned und wird mit einer Riesentüte bhangi auf seinem Zimmer erwischt. Er hat schon immer geraucht, aber jetzt ist es geradezu fahrlässig. Alle wissen, dass man bei den Strand-Brüdern bhangi kaufen kann; sie züchten es auf der Farm ihrer Eltern in der Nähe von Arusha. Alwyn verkauft ebenfalls, sein Vater betreibt eine Rinderfarm am West-Kilimandscharo. Die Strands und Alwyn, die großen Bauern. Wie auch immer: Salomon wird erwischt, fliegt aber nicht raus. Er ist der Sohn des äthiopischen Botschafters. Aziz wird mit einem einheimischen Mädchen auf seinem Zimmer ertappt. Jarno wird schnarchend und sternhagelvoll auf dem Flachdach des Kishari-Hauses gefunden. Die Geschichten sprechen sich herum. Keiner von ihnen muss die Schule verlassen, also fangen auch die Burschen im Kijito- und Kijana-Haus an auszuflippen.
Ich werde zu einer Gardinenpredigt ins Büro gerufen.
»Du stehst in fast allen Fächern schlecht, Samantha«, beginnt Owen. »Deine Jahresnoten sind miserabel. Es ist sehr zweifelhaft, ob du es schaffst, die ganzen schriftlichen Arbeiten, die dir noch fehlen, nachzureichen und benoten zu lassen. Und wenn sie nicht vorliegen, können wir dich nicht zum Examen zulassen. Alles deutet darauf hin, dass du die zehnte Klasse wiederholen musst.«
»Jawohl, ja.«
»Was meinst du?«, fragt Owen nach. Ich weise über die Schulter nach hinten: »Ich werde sofort auf mein Zimmer gehen und mit den Aufgaben anfangen.«
»Viel Glück«, wünscht er mir.
»Ebenfalls«, erwidere ich. Und versuche verzweifelt, die Arbeiten zu erledigen. Wirklich. Aber es ist schwer.
Fünf große Sünden
Am Donnerstag werden alle Internatsschüler, die im Teenageralter sind, in die Karibu Halle gerufen. Owen spricht über Disziplin und die fünf Sünden: Sex, Glücksspiel, Drogen, Alkohol und Diebstahl.
Niemand veranstaltet Glücksspiele, worum sollten wir auch spielen? Und womit? Und richtige Drogen gibt’s hier auch nicht. Alkohol, Sex und bhangi – ja, okay, so ein bisschen. Diebstahl … natürlich habe ich eine Jeans von Truddi aus dem Wäschehaufen geklaut, aber nicht, weil ich die Hose brauchte, ich wollte sie nur ärgern. Und als ich sie in der Stadt verkaufte, habe ich von dem Geld auch nicht viel gehabt, man kann sich hier ja nichts kaufen. Okay, ich hab’s schon ausgegeben, aber es hat gedauert.
»Wir alle wollen hier zusammen leben, und die Lehrer sollen nicht die Polizei sein. Aber wenn die Schüler sich nicht untereinander kontrollieren und gegenseitig mäßigen, dann sind wir gezwungen, die Schrauben ein wenig fester anzuziehen. Ihr müsst verstehen, dass eure Eltern der Schule die Verantwortung für euch übertragen haben, und das nehmen wir im Lehrerkollegium sehr ernst. Und dieser Verfall der Disziplin, den wir in der letzten Zeit beobachtet haben, wird künftig nicht mehr toleriert werden. Es wird zu Hausarrest, Verwarnungen, Suspendierungen und – im schlimmsten Fall – zum endgültigen Verweis von der Schule kommen.«
Transport
Adella ruft mich ans Telefon im Aufenthaltsraum des Kilele.
»Ja?«
»Hey, Süße«, meldet sich Victor. »Ich
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