Exil
einem Fest, und bei Festen ist es so, dass man sich nicht darum kümmert, wer nicht eingeladen wurde. Wie es dem gemeinen Neger geht, ist uns egal, solange wir unser Feigenblatt in Form von ein bisschen Entwicklungshilfe haben, die bei weitem nicht das aufwiegt, was wir mit der anderen Hand klauen. Wir haben sie bei den Eiern.«
»Aber der Krieg ist trotzdem so … bestialisch.«
»Es ist nicht bestialischer, mit einer Machete zu töten als mit einem Gewehr. Man ist nur näher dran. Und es ist blutiger.«
Frans erhebt sich, ohne etwas zu erwidern, geht ein wenig unsicher zur Tür. Vater ruft ihm hinterher: »Die Welt ist logisch. Sie hängt zusammen. Der Sowjetunion fehlt es an ausländischer Valuta, militärische Frachtflugzeuge werden an westliche Hilfsorganisationen als Nothilfetransporter verliehen, und die Piloten nehmen russische Waffen mit, die sie den Aufständischen verkaufen können. Welchen Aufständischen? Es gibt immer welche.«
»Gute Nacht«, sagt Alison ruhig und fasst Frans an die Schultern, geht mit ihm nach drinnen. Ich folge ihnen. Vater ist sauer, dass wir alle ins Bett gehen. Aber ich hätte ohnehin nichts davon, allein mit ihm auf der Veranda zu sitzen.
Die Schule
»In zwei Wochen gehst du wieder in die Schule«, erklärt Vater. Alles ist bereits besprochen, ich habe nichts zu sagen. Ich soll nach der Hälfte des Schuljahres wieder in die zehnte Klasse gehen – in die Klasse unter meiner alten Klasse – und mein Examen nachholen.
»Ich will nicht zurück. Alison hat die Schule in England auch geschmissen.«
»Ja, aber sie hat die zwölfte Klasse beendet. Von dir erwarte ich nur die zehnte Klasse, aber das verlange ich tatsächlich.«
Das Gefängnis wartet. Ich gehe schwimmen, kaufe eine Flasche Konyagi und setze mich mit einem Glas und Zigaretten in den Garten. Im Haus klingelt das Telefon, der Koch ruft mich.
»Ja«, melde ich mich.
»Hey, hier ist Panos«, höre ich als Antwort.
»Panos! Wo steckst du?«
»In England. Landwirtschaftsschule. Ich lerne etwas über den Boden.« Panos lacht. »Ihr Engländer seid schon eigenartig. Außerdem arbeite ich an einer Tankstelle. Ich bin einer der Unterprivilegierten.«
»Wann kommst du zurück?«
»Weiß ich nicht. Meine Mutter sagt, dass Stefanos Familie vielleicht nach Italien zurückgeht oder eine Tabakfarm in China übernimmt. Wenn sie weg sind, kann ich kommen.« Ja, Stefanos Vater würde ihn umbringen, wenn er jetzt zurückkäme.
»Panos, es tut mir leid, dass …« Panos unterbricht mich.
»Mir aber nicht. Ich wollte das Arschloch verprügeln, seit ich vier Jahre alt war.« Er lacht durch die transkontinentale Telefonverbindung.
Ich lache auch, der Konyagi hilft.
»Wie geht’s dir, Samantha?«
»Ich bin krank gewesen«, erzähle ich. »Und jetzt muss ich den zweiten Teil der zehnten Klasse wiederholen.«
»Scheiße. Zieh es einfach durch, und dann komm her. Das wird cool.«
»Wo wohnst du?«, erkundige ich mich.
»Kellerzimmer. Die Temperatur würde ich eher kühl nennen.« Panos lacht.
»Aber wie lebst du? Hast du ein Auto? Wo isst du?«
Panos lacht noch immer. »Samantha, verdammt. In Europa muss man alles selber machen. Ich fahre Fahrrad, koche Spaghetti und rauche selbstgedrehte Zigaretten. Ich meine … ich habe ein bisschen darüber nachgedacht. Ich bin ein Halbschwarzer, aber ich musste erst nach England kommen, um wie ein richtiger Neger zu leben.«
»Hast du Geld?«
»Kein Geld.«
»Scheiße.«
»Na ja, es geht. Aber Samantha, ist bei dir alles okay? Ich vermisse … na, du weißt schon, eine Zigarette mit dir zu rauchen, eine K.C. zu trinken.«
»Ja«, sage ich, »geht mir auch so.«
Wartezeit
Ich warte. Worauf warte ich? Auf Victor. Ich hoffe, Victor taucht wieder auf, aber das macht er nicht, und ich will Vater nicht fragen; er darf nicht mitbekommen, dass zwischen Victor und mir etwas läuft. Die Tage schleppen sich dahin. Es endet damit, dass ich anfange, die Nase in die Schulbücher zu stecken. Natürlich kann ich dieses Examen schaffen. Wenn es sie glücklich macht. Aber ich muss mein eigenes Leben leben. Wie geht das? Mit Victor? Allerdings ist er ständig unterwegs, und will er überhaupt etwas von mir? Panos, wenn er wiederkommt? Aber Panos ist Panos. Das ist einfach zu abwegig, finde ich. Und Mick mag mich nicht mehr. Er kommt nicht vorbei, er fragt nicht, ob wir etwas zusammen unternehmen wollen. Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Ein paar Tage vor Schulbeginn rufe ich Tazim an.
»Es wird
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