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Exil

Exil

Titel: Exil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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Gulzar bleibt liegen und stöhnt, Blut läuft ihm aus einer tiefen Wunde an der Wange – ein Stuhlbein muss sie aufgerissen haben.
    »Du bist ja wahnsinnig!«, schreit die Bibliothekarin und hockt sich neben Gulzar. Mr. Harrison rennt herein.
    »Was ist passiert, Samantha?«
    Die Bibliothekarin schaut zu ihm auf: »Sie hat ihn zusammengeschlagen. Mit dem Stuhl.« Harrison packt mit festem Griff meinen Oberarm. Schaut mich an.
    »Warum hast du das getan?«
    »Weil er ein Schwein ist.«
    »Ins Büro!«, befiehlt Harrison und führt mich durch den summenden Kreis von Neugierigen, die in die Bibliothek gekommen sind. »Macht Platz!«, fordert er sie auf, und sie ziehen sich ein wenig zurück, um uns durchzulassen. Ich sehe Diana, Masuma, Jarno und den Lehrer Voeckler. Im Büro werde ich im Vorzimmer auf einen Stuhl gesetzt. Owen stürzt beinahe ins Zimmer.
    »Jetzt ist Schluss, damit kommst du nicht durch, Samantha!«, schreit er und greift zum Telefon. Ich sehe, wie die Bibliothekarin und ein Lehrer Gulzar auf dem Weg zum Parkplatz stützen. Vermutlich wird er zum Arzt gebracht. Ich muss anderthalb Stunden im Büro sitzen, während Owen telefoniert. Harrison kommt zurück und spricht mit Owen.
    »Ich muss pinkeln«, sage ich zur Sekretärin. Sie redet mit Owen.
    »Komm mit«, fordert sie mich auf und begleitet mich zur Toilette.
    »Ich warte hier«, erklärt sie auf dem Gang, und ich gehe hinein, zünde mir eine Zigarette an, setze mich und pinkele. Als wir zurückkommen, werde ich ins Büro gerufen.
    »Du hast Glück«, sagt Owen. »Gulzars Vater will dich nicht anzeigen, aber auf der Schule hast du ab sofort nichts mehr verloren.«
    »Okay. Ich gehe hoch und packe.«
    »Nein«, sagt Owen. »Wir haben deine Sachen bereits gepackt. Sie liegen in meinem Wagen. Ich fahre dich in ein paar Stunden zum Bus.«
    »Und was mache ich bis dahin?«
    »Du kommst mit mir nach Hause zum Essen.« Ich folge Owen zu seinem Wohnhaus. Normalerweise isst er im Speisesaal, aber heute ist Essen aus der Schulküche in seine Wohnung gebracht worden. Seine Frau und seine Kinder sind nicht zu Haus, vermutlich essen sie im Speisesaal.
    Wir sitzen uns am Tisch gegenüber und essen, ohne ein Wort zu sagen. Ich habe keinen Appetit.
    »Kaffee?«, erkundigt sich Owen.
    »Ja, danke.« Er holt eine Thermoskanne, Tassen, Zucker und eine Dose Africafé. Wir bereiten uns jeder eine Tasse zu.
    »Darf ich rauchen?«
    »Auf der Veranda«, erwidert Owen und geht hinaus. Ich folge ihm. Trinke den Kaffee, rauche die Zigarette. Schaue hinüber zur Schule. Dieses Leben ist vorbei.
    »Hm«, sage ich.
    »Was ist?«, fragt Owen.
    »Wollen wir fahren?«
    »Ja, brechen wir auf«, erwidert er. Nicht ein Wort fällt. Er löst ein Ticket für mich, gibt mir ein wenig Bargeld. »Viel Glück.«
    »Gleichfalls«, antworte ich und steige ein. Setze mich. Warte. Ich bin draußen.
    Das schwere Leben
    »Hör auf zu heulen«, sagt Alison, als sie die Tür öffnet und mich sieht.
    »Die haben mich rausgeschmissen«, flenne ich.
    »Ich weiß. Owen hat angerufen. Wieso hast du ihn verprügelt?«
    »Er wollte mir Geld geben, damit ich … ihn anfasse«, schluchze ich.
    »Und?«
    »Na ja … ich habe total die Beherrschung verloren.«
    Frans taucht hinter ihr auf. »Du hättest ihn einfach ignorieren sollen.« Ich schaue zu Boden.
    »Komm jetzt rein«, fordert Alison mich auf.
    »Ich kann deinen Bauch sehen«, sage ich.
    »Ja, schön, nicht?« In zweieinhalb Monaten soll sie entbinden. Ich hätte diesen Bauch haben können, noch größer. Ich rechne nach, bei mir wäre es vor einem Monat so weit gewesen. Ein kleines schokoladenbraunes Kind.
    Frans ist nicht glücklich über mein Erscheinen.
    Ich setze mich auf die Veranda und rauche. Wir sind mitten in der Regenzeit – fünfunddreißig Grad im Schatten bei einer Luftfeuchtigkeit von vierundneunzig Prozent –, die Zigarette geht aus, wenn ich nicht permanent ziehe.
    Am nächsten Nachmittag erscheint Vater. Ich höre Alison in der Einfahrt: »Du fasst sie nicht an!«
    »Nein, nein«, erwidert er.
    »Wenn du ihr etwas tust, wirst du deinen Enkel niemals kennenlernen.«
    »Ich tu ihr nichts«, erklärt er und wird hereingelassen. Ich sitze in der Ecke des Sofas und habe die Beine untergeschlagen. Er setzt sich neben mich. Sagt nichts. Bietet mir eine Zigarette an. Feuer.
    »Lass uns was essen gehen«, sagt er.
    »Okay.« Wir fahren ins Oysterbay Hotel. Was will er?
    »Als ich so jung und zornig war wie du jetzt, bin ich auf die schiefe

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