Exit Mosel
konnten. Der letzte Zipfel der Insel huschte vorbei, und der Fluss öffnete sich in komfortabler Breite. Ein Feuerschein auf der rechten Seite erregte seine Aufmerksamkeit. Die Insel hatte den Blick dorthin versperrt. Es brannte unter der Brücke. Zu groß für ein Lagerfeuer. Er nahm das Fernglas. Der Kahn war schnell, sodass der Mann am Steuer sich um mehr als neunzig Grad drehen musste, um die Konturen eines Autos zu erkennen, das dort lichterloh brannte. Dichter Qualm stieg auf, vermischte sich mit der Dunkelheit.
Kaum hatte er die 110 ins Handy getippt, meldete sich die Polizei. Während er etwas von einem Unfall unter der Moselbrücke beim Trierer Hafen berichtete, drehte er das Radio leiser. Eine Stimme im Telefon forderte ihn auf, sich einen Augenblick zu gedulden. Erst als diese Bitte im gleichen Tonfall wiederholt wurde, bemerkte er, dass er weiterverbunden wurde und in eine Warteschleife geraten war. Um einen weiteren Blick auf das brennende Fahrzeug zu werfen, musste er sich inzwischen in dem rundum verglasten Steuerhaus um einhundertachtzig Grad drehen. Er schaltete vom Autopiloten auf Handbetrieb und lenkte den Kahn näher zum rechten Ufer, um länger zur Brandstelle sehen zu können.
Eine modulationsarme männliche Stimme fragte nach seinem Anliegen.
»Hier brennt es unter der Moselbrücke beim Hafen.«
»Ehranger Seite oder Kenner Seite?«, kam die Gegenfrage.
»Rechts, moselabwärts rechts.«
»Also Kenn?«
Während die Brandstelle aus seinem Sichtfeld geriet, nickte der Schiffsführer und schaltete zurück auf Autopilot.
»Was denn nun?«, klang es aus dem Hörer.
»Ja, Kenner Seite.«
»Wie viele Fahrzeuge sind an dem Unfall beteiligt?«
»Das weiß ich nicht.«
»Gibt es Verletzte?«
»Ich sehe nur ein Auto brennen, vielmehr, jetzt sehe ich es nicht mehr.«
»Sagen Sie mir bitte Ihren Namen?«
»Rijs von der Christin, so heißt mein Boot.«
»REIS, Christian.«
»Nein, R I J S«, buchstabierte der Schiffsführer. »Ich komme aus Holland und fahre auf der Mosel, mein Schiff heißt Christin.«
Das Radar zeigte Hindernisse in Fahrtrichtung. Rijs legte das Handy ab und folgte mit dem Fernglas dem Scheinwerfer, den er über den Bug auf den dunklen Fluss richtete. Die Fahrrinne schien frei zu sein. Als er wieder auf das Radar schaute, hatte sich auch dort das Hindernis als Störmeldung erwiesen.
Durch die Gereiztheit, die mit dem Hallo aus dem Hörer klang, hatte die Stimme eine menschliche Attitüde angenommen. Als sich Rijs zurückmeldete und sich wegen der Unterbrechung entschuldigte, war bereits wieder der teilnahmslose Ton zurückgekehrt, mit der Nachfrage, ob es Verletzte gäbe. Als Rijs weder diese noch die folgende Frage nach der Anzahl der beteiligten Fahrzeuge beantworten konnte, wurde das Gespräch ohne Dank oder sonstige Höflichkeitsfloskeln beendet.
*
Der Streifenwagen schaukelte heftig, als er von der verschlammten Teerstraße auf den unbefestigten Weg des Kiesgrubengeländes mit den tiefen Fahrrinnen gesteuert wurde. Caroline Beck, Polizeiobermeisterin von der Polizeiinspektion Schweich, beugte sich ein wenig nach links in Richtung ihres Kollegen, um wieder aufrecht zu sitzen, als die Reifen in die rechte Fahrspur gerieten. Der Fahrer versuchte erst gar nicht, wieder herauszulenken. Unter der Moselbrücke leuchteten gelbe Linien vor einem Feuerwehrwagen mit eingeschaltetem Blaulicht. Dort hatten sich Feuerwehrleute einer Freiwilligen Feuerwehr versammelt, wie auf der Jacke eines mit dem Rücken zu ihnen stehenden Mannes in Jeans zu erkennen war. In der Eile hatte er wohl nur die Einsatzjacke und den Helm gefunden.
Ihr Kollege fummelte am Funkgerät, während Caroline die Tür öffnete, den blonden Zopf nach hinten warf und die Dienstmütze aufsetzte. Die Männer schauten zu ihr herüber. Sie verkniff es sich, ihnen ›Wo brennt’s denn?‹ entgegen zu rufen.
Im Schein der Lichter ihres Wagens sah sie in angespannte Gesichter. Vermutlich waren die meisten aus dem Schlaf gerissen worden.
»Es ist nicht mehr da!« Ein kleiner Mann wies auf ein dunkles Rechteck mit qualmendem Schutt. Ob es sich um verkohlten Bewuchs oder Drähte handelte, konnte sie nicht erkennen. Sie meinte, darin die ehemalige Position der Räder auszumachen.
»Das Auto ist weg?«, fragte Caroline.
»Ist weg«, wiederholte der Mann. Er trug eine Brille, sein Mund blieb offen und der Arm ausgestreckt. Aus dem Ärmel seiner zu großen Jacke ragte keine Hand. Die Stablampen seiner Kollegen
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