Exodus
Fiat, Baujahr 1939. Die Fahrt nach Tel Aviv dauerte unter normalen Verhältnissen nur ein paar Stunden. Da er es jedoch noch nie erlebt hatte, daß die Verhältnisse normal waren, schlug er Kitty vor, schon frühmorgens von Haifa loszufahren. Sie fuhren den Hang des Karmelberges hinunter und dann die Straße an der Küste von Samaria entlang. Kitty war beeindruckt davon, wie grün und fruchtbar die Felder der Kibbuzim am Rande des Meeres dalagen. Ihr frisches Grün wurde durch den Gegensatz zu dem toten Braun der Berge und dem stumpfen Glast der Sonne noch leuchtender. Kurz hinter Haifa trafen sie auf die erste Straßensperre. Ari hatte Kitty darauf vorbereitet. Sie beobachtete ihn dabei von der Seite. Er machte ein Gesicht, als störte es ihn überhaupt nicht, obwohl ihn viele der englischen Kontrollposten kannten und zu ärgern versuchten, indem sie ihn daran erinnerten, daß er nur vorübergehend amnestiert war.
Ari verließ die Hauptstraße und fuhr zu den Ruinen der alten Hafenstadt Caesarea. Man hatte ihnen in der Pension Brote mitgegeben, und sie setzten sich auf die uralte Mole und aßen. Ari zeigte Kitty Sdot Yam — die Fischersiedlung, in der Joab Yarkoni zu Haus war —, und er zeigte ihr, wie die Araber ihre Stadt aus Ruinen erbaut hatten, die teils aus der Zeit der Römer, teils aus der Zeit der Kreuzritter stammten. Die Araber, erklärte er ihr, seien Fachleute darin, sich der zivilisatorischen Leistungen anderer Völker zu bedienen. In ganz Palästina hätten sie im Verlauf von tausend Jahren nur eine einzige völlig neue Stadt errichtet.
Dann fuhren sie in südlicher Richtung weiter nach Tel Aviv. Auf der Straße war wenig Verkehr. Von Zeit zu Zeit begegneten sie einem Bus, der entweder nur Araber oder nur Juden beförderte, oder einem der überall anzutreffenden Eselskarren. Gelegentlich überholte sie eine britische Wagenkolonne, die mit gellenden Sirenen eilig vorbeifuhr. Sie kamen durch Landstriche, die von Arabern bewohnt waren, und Kitty fiel auf, wie anders die Ortschaften und Felder hier aussahen. Auf den Feldern arbeiteten Frauen, und der Boden war voller Steine und unfruchtbar. Am Rand der Straße gingen Araberinnen, vermummt und durch lange Gewänder behindert, und mit schweren Lasten, die sie auf den Köpfen balancierten. Die Kaffeehäuser an der Straße waren voll von Männern, die träge herumsaßen oder am Boden lagen und Puff spielten. Hinter Sichren Yakow kamen sie an dem ersten Teggart-Fort vorbei, einem finster wirkenden, von Stacheldraht umgebenen Bauwerk. Ein Stück weiter, bei Chedera, kamen sie an dem nächsten Fort vorbei, und dann schienen die Teggart-Forts bei jedem Ort und jeder Straßenkreuzung aufzutauchen.
Hinter Chedera, in der Ebene von Scharon, war das Land noch grüner und fruchtbarer. Sie fuhren zwischen australischen Eukalyptusbäumen entlang, die sich zu riesigen Bogengängen über ihnen wölbten.
»Alles, was Sie hier sehen, war vor fünfundzwanzig Jahren noch wüst und öde«, sagte Ari.
Am Nachmittag erreichten sie Tel Aviv — den Frühlingshügel. Die Stadt erhob sich am Rande des Mittelmeeres in so strahlendem Weiß, daß es den Augen fast wehtat. Ari fuhr durch breite, mit Bäumen gesäumte Boulevards, vorbei an langen Reihen hypermoderner Appartementhäuser. Die Stadt war erfüllt von geschäftigem Leben und Treiben. Kitty fand Tel Aviv vom ersten Augenblick an wunderbar. Ari hielt vor dem Gat-Rimon-Hotel, das in der Hayarkon-Straße, direkt am Meer, lag.
Am späten Nachmittag öffneten alle Geschäfte wieder, die während der Zeit der mittäglichen Siesta geschlossen hatten. Ari und Kitty bummelten durch die Allenby-Straße. Kitty wollte etwas Geld einwechseln, ein paar Sachen kaufen und ihre Neugier befriedigen. Hinter dem Mograbi-Platz lag ein kleiner Laden neben dem andern, und die Straße war erfüllt von dem Lärm der Busse und Autos und dem Gewühl der Menschen. Kitty mußte sich jedes Schaufenster ansehen. Sie kamen an einem Dutzend Buchhandlungen vorbei, und Kitty blieb jedesmal stehen, um sich die Buchtitel in hebräischer Schrift anzusehen, die sie nicht entziffern konnte. Sie gingen weiter und weiter, bis sie das Geschäftsviertel hinter sich gelassen hatten und am Rothschild-Boulevard waren. Hier lag der ältere Teil der Stadt, aus der Zeit, als Tel Aviv sich sozusagen als ein Vorort der Stadt Jaffa zu entwickeln begonnen hatte. Je näher sie der arabischen Stadt Jaffa kamen, desto baufälliger und verkommener wurden die Häuser und
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