Extra scha(r)f
nicht ansehen wollen.
Ich klettere aus dem Bett, streife meinen Bademantel über und gehe hinaus in den Flur, wo sich drei unterschiedliche Schnarchmelodien miteinander mischen. Auf Zehenspitzen schleiche ich die Treppe hinunter. Obwohl das Holz dabei mehrmals laut knarrt, bleibt alles ruhig.
Unten im Wohnzimmer schalte ich den Fernseher ein. Mir kommt kurz der Gedanke, dass ich mir das nicht ansehen muss. Warum soll ich mir den schlimmsten Tag in meinem Leben ein zweites Mal antun? Stattdessen könnte ich auch bloß ein wenig herumzappen. Oder mir dieses spannende, neue Bildungsprogramm der Uni anschauen, das seit kurzem gesendet wird. Im Moment wird das Thema »Metallermüdung« behandelt.
Brrrr!
Vielleicht sollte ich mich auch einfach wieder ins Bett legen und versuchen zu schlafen.
Wen will ich eigentlich verarschen? Wo ist die verdammte Fernbedienung?
Play.
Das bisschen, in dem Inspektor Columbo eine Rolle spielt
Von der gegenüberliegenden Straßenseite aus starre ich auf die siebenstöckige Glasfassade des Zone. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich es vermisst habe ... Déjà vu. Stand ich nicht vor ungefähr sechs Wochen an genau derselben Stelle und hatte genau dieselben Empfindungen? Dieses Mal drängt sich allerdings ein neues Gefühl in den Vordergrund. Ein Hochgefühl, zwar nur schwach, aber unverkennbar. Das kann ich gut gebrauchen für das, was ich mir vorgenommen habe.
Ich setze mich in Bewegung, überquere die Straße und bleibe erst wieder stehen, als ich im Foyer bin. Dort empfängt mich Musik, die nicht aus den Fernsehern kommt. Das ist neu, vielleicht eine innovative Idee von Daniel Conrad? Eine sanfte Hintergrundmusik mit Meeresrauschen und ... Sind das etwa Walgesänge? Ich schätze, das ist der Versuch (von Daniel Conrad, dem Studiomanager?), den Kunden Entspannung pur zu vermitteln, sobald sie aus der Hektik Londons hier eintreten. Ich werde von dieser Musik allerdings seekrank, und ich will mich gerade übergeben, als mich plötzlich eine Stimme zusammenfahren lässt.
»Charlie!« Rebeccas Schrei hallt durch das gesamte Foyer.
Dort steht sie, hinter dem Empfang, zusammen mit ein paar neuen Gesichtern. Es handelt sich um zwei junge, knackige Typen, die sicherlich von Daniel eingestellt worden sind. Vielleicht, man weiß ja nie, sind sie sogar computertauglich.
Auf Rebeccas Gesicht ist ein breites Lächeln, sodass ihre Zähne zu sehen sind, aber trotzdem wirkt es gezwungen und wie eingefroren, als müsse sie ihr Entsetzen verbergen. »Weiß Jamie, dass du hier bist?«, fragt sie, womit sie bestätigt, dass sie Angst hat.
»Nein. Ist er da?«
Rebecca hebt die Schultern. Wenigstens sind ein paar Dinge beim Alten geblieben. Ein ratloses Achselzucken war zu meiner Zeit Rebeccas Standardreaktion auf jede beliebige Frage.
»Und, wie läuft‘s?«, frage ich, als ich die Anmeldetheke erreiche.
»Ach, du weißt schon, wie immer. Das reinste Tollhaus«, entgegnet Rebecca kichernd und nickt in die absolute Stille, die uns umgibt.
»Ja, das sehe ich«, gebe ich zurück und nicke ebenfalls in die absolute Stille, die uns umgibt. Augenblick, warum bin ich plötzlich so zynisch? Schließlich ist Rebecca weder für meine Kündigung verantwortlich, noch hat sie mich hintergangen. Sie hat lediglich versehentlich mit einer Fernbedienung den Weltuntergang ausgelöst.
»Du weißt bestimmt, dass die Sendung gestern Abend im Fernsehen lief«, sagt Rebecca.
Oh ja, das weiß ich.
»Heute Morgen hatten wir bereits über zweihundert Anrufer. Lauter Interessenten, die bei uns Mitglied werden wollen«, spricht sie in ehrfürchtigem Ton weiter. »Es ging zu wie im Tollhaus!«
»Super«, entgegne ich lahm. »Schade, dass ich bei dem Ansturm nicht helfen konnte.«
Rebecca schlägt die Augen nieder und wird rot. Mist, jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen.
»Und, wie macht sich euer neuer Chef?«, frage ich in bemüht freundlichem Ton.
»Daniel? Oh, super«, erwidert Rebecca. Was entweder bedeutet a) Daniel ist tatsächlich ein super Chef oder b) Daniel hat im gesamten Gebäude Wanzen anbringen lassen, weshalb ich besser aufpasse, was ich sage . »Ich vermisse dich schrecklich«, fügt sie im Flüsterton hinzu, sicherlich um die Abhöranlage auszutricksen.
Bevor ich etwas darauf entgegnen kann, macht der Fahrstuhl hinter mir Pling!, und ich erstarre. Ich höre vertraute Schritte, die sich uns nähern. Ich fahre herum, und Jamie sagt: »Hi, Charlie, wollen Sie Ihre Papiere abholen?«
»Nein,
Weitere Kostenlose Bücher