Extraleben - Trilogie
Umhängen. Schwarz, Weiß - und maximal zwei Grautöne dazwischen, wie beim C64 halt.« „Aha, du willst also wieder einen Führer«, sage ich.
»Nein, ich will ein Bier!«,kommt es Stakkato von rechts. Wieder mal eines dieser Nick-Schlussworte, mit denen er Diskussionen beendet, bei denen er auf verlorenem Posten kämpft. Die paar Leute, die uns kennen, denken zwar immer, wir würden auf diesen endlosen Fahrten irgendwas Tiefschürfendes reden, über Wittgenstein oder so, aber in Wahrheit geht es in unseren wenigen Gesprächen nur um elektronische Banalitäten. Woran absolut nichts auszusetzen ist. Wir fahren an ungefähr zwanzig roten Scheunen vorbei, die man als Kulisse für die Waltons hätte nehmen können, dann hat sich mein Copilot wieder beruhigt. Das ist echt einer der Vorzüge einer Reise mit Nick. So cholerisch er bei seinen Lieblingsthemen manchmal wird - man kann immer sicher sein, dass nie ein ernster Streit daraus wird, der womöglich länger als bis zum nächsten Tankstopp dauert.
LEVEL 07
Fairfield fällt nicht weiter auf. Obwohl es schon elf ist, sind die meisten Parkbuchten auf der breiten Hauptstraße noch leer. Alles sieht nach einem heiteren Sommertag aus: Kein Wölkchen stört das dunkle Blau des Himmels, das Thermometer der Bank of America zeigt schon 91 Grad Fahrenheit, und den letzten Schatten spenden ein paar Platanen vor der öffentlichen Bibliothek. Wie in vielen Städtchen im Mittelwesten ist auch hier an jeder Ecke das Sterben spürbar. In den halbblinden Schaufenstern des Elks -Kaufhauses, früher sicher einmal das Herz der Innenstadt, hat ein örtlicher Antiquitätenhändler verstaubte Nähmaschinen untergestellt. Der Eingang zu den Kurka Jewelers ist mit Eisengittern verrammelt, und auch das Torino Steak Hause scheint schon vor langer Zeit geschlossen zu haben. Und so geht es in den Ladenzeilen weiter: Schilder mit »out of business« oder »to let« wechseln sich ab mit verfallenen Häusern. Die alte Hauptstraße ist so leer gefegt, als würden sich hier gleich zwei Cowboys duellieren. Doch der Showdown, wenn es den überhaupt einmal gab, hat in Fairfield vor langer Zeit stattgefunden. Als hier nämlich für ein paar kurze Momente das Gravitationszentrum des Videospiele-Universums lag. Das Datum: Dezember 1982. E.T. der Außerirdische telefoniert nach Hause, Polizisten schießen auf Solidarnosz-Demonstranten in Danzig, Helmut Schmidt schenkt Ronald Reagan beim Staatsbesuch ein paar deutsche Steinadler - das waren die Fotos, mit denen das »Life«-Magazin das vergangene Jahr Revue passieren ließ. Ein wenig große Politik, viele kleine Gesten und noch mehr Herz-Schmerz. Für die Einwohner von Fairfield und Umgebung allerdings war dieser Jahresrückblick etwas ganz Besonderes: Es war ihr großer Auftritt. Denn ihre Hauptstraße bildete den Hintergrund für ein auffälliges, doppelseitiges Foto, das »Life« in großen Buchstaben mit »Videogame V.I.P.s« betitelt hatte. Zu sehen waren darauf die Highscore-Helden eines neuen Zeitalters: sechzehn Nerds wie aus dem Bilderbuch, die sich in der Mitte der Dorfstraße zusammen mit ihren Maschinen aufgestellt hatten - Arcade-Automaten mit klingenden Namen: Defender, Ms. Pac-Man, Donkey Kong. Die meisten von ihnen lächelten etwas schüchtern, wahrscheinlich wegen der lokalen Highschool-Cheerleader, die der Fotograf als Eye Candy um sie herum postiert hatte. Apropos: Als wir das Foto im Netz studierten, fiel uns mal wieder auf, wie niedrig die Grenze für Schönheit damals lag; solche grauen Mäuse würde heute kein Winzerverein mehr nach vorne stellen. Egal. Die abgelichteten Jungs jedenfalls waren damals die amtierenden Weltmeister in ihrer jeweiligen Disziplin, angeführt von einem dicken Kind namens Ned Troide aus Palm Harbour/Florida. Er hatte mit nur einer Münze 62,5 Stunden am Stück Defender gezockt und 73 Millionen Punkte gesammelt. Unfassbar. Wir konnten damals nicht mal die fünf Tasten richtig bedienen. Hinter diesem Foto steckte kein Geringerer als Walter Day. Der 33-Jährige betrieb damals, wie gesagt, in der Gegend eine Spielhalle. Als eines Tages ein Teenager zu ihm kam, um aufgeregt von seinem neuesten Highscore zu erzählen, fiel dem Geschäftsmann auf, dass es keine Tabelle der besten Videospieler gab. In dieser Ära vor der Vernetzung existierte nur die Highscore-Liste im Automaten selbst, und wer die anführte, war allenfalls ein Local Hero; ein Kaff weiter konnte die Latte schon wesentlich höher liegen. Deshalb
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