Extraleben - Trilogie
über den menschenleeren Highway. Wenn sich in den letzten zwei Tagen überhaupt etwas geändert hat, dann höchstens das Braun der Landschaft; einige Farmer haben ihre Felder schon abgemäht, und über den zurückgebliebenen Lehmwüsten tanzen kleine Windhosen. Dort, wo Weizen und Mais noch stehen, taucht am Himmel ab und zu ein kleines Agrarflugzeug auf, um irgendein Gift zu versprühen oder Cary Grant in die Flucht zu schlagen. Wir packen ein paar Zimtkaugummis zur Verdauung aus und wenden uns einem unserer Lieblingsthemen zu: Ist es schwieriger geworden, cool zu sein? Nick vertritt - wenig überraschend - die Meinung, dass alles schlechter geworden ist, vor allem deshalb, weil sich ein Mann heute nicht mehr über seine Hardware definieren kann.
»Mit einem Nakamichi-Tapedeck ...«
Das ist sein Standardbeispiel. Wer vor der Wiedervereinigung seine ersten Barthaare gekriegt hat, kennt es mit Sicherheit noch: das legendäre Nakamichi-Tapedeck mit Umdrehautomatik. Das Gerät war so eine Art Yeti unter Anlagenfreaks: Irgendjemand kannte irgendjemanden, der hatte mal eins gesehen - im Partykeller eines Kumpels, dessen Vater ein Autohaus betreibt, in einer Villa mit Schwimmbad wohnt und in der Garage einen Porsche 959 stehen hat. Das Nakamichi war ein Spielzeug für die Gordon Geckos dieser Welt eben, für die Masters of the Universe, für Leute mit einem Autotelefon . Allein die Technik trieb uns den Sabber in die Mundwinkel: Mit sage und schreibe drei Tonköpfen kitzelte die Maschine aus dem an sich schäbigen Medium Kompaktkassette das Letzte raus. Das war Hightech pur, und wer seinen Vater davon überzeugt hatte, mehrere Tausend Mark in diese Zukunftstechnologie zu investieren, konnte sich sicher sein, ab sofort auf jeder Party eine Traube von Audio-Nerds um seine Anlage herumsitzen zu haben. Dabei interessierte sich eigentlich niemand für den Klang, dessen Brillanz bei »Kiss!« von Age of Chance ohnehin nicht wirklich zur Geltung kam; alle wollten nur das Ding sehen: Am Ende eines Tapes nämlich schob ein elektrischer Mechanismus die Kassette raus, drehte sie quasi wie von Hand um und zog sie zurück ins Gehäuse. Pure Magie. All das lief nur ab, weil japanische Ingenieure herausgefunden hatten, dass das Tape so besser klingt, als wenn - wie beim normalen Autoreverse - das Band einfach nur in die andere Richtung abgeleiert wird. Wie dem auch sei. Sobald jedenfalls irgendwo einer der Exoten stand, ließ man nebenher eine CD laufen und spulte währenddessen auf dem Nakamichi wie verrückt vor, um möglichst schnell das Ende des Tapes zu erreichen und damit das Band-Ballett zu starten. Selbst heute, wo die Dinger für ein paar Euro auf dem Flohmarkt zu haben sind, schwingt noch Ehrfurcht in Nicks Stimme mit, wenn er über Nakamichi-Tapedecks spricht, wahrscheinlich, weil er - wie alle in unserer Jahrgangsstufe - nie eines besessen hatte.
»... damit warst du halt der König!«, sagt er. Achtung, jetzt kann es nicht mehr lange dauern, bis das Stichwort Laserdisc fällt. Start der LD-Tirade in fünf Sekunden, in vier, in drei ...
»... oder mit dem Laserdisc-Player. Wie viele Leute hatten einen in der Stufe?«, fährt Nick wie erwartet fort. Auf die Antwort - »zwei, inklusive dir« - wartet mein Reisebegleiter wie üblich nicht.
»Oder noch geiler: ein Faxgerät ! Das war die Eintrittskarte zu einer anderen Welt, in die niemand anders rein durfte, Alter. Nur schnell die Kreditkartennummer drauf, und schon kam das ZTTRecords Fanzine mit der guten alten Bundespost - während das Fußvolk noch mit internationalen Antwortscheinen hantierten musste.«
Für Nick sagt sich das natürlich besonders leicht, weil er in Sachen Infotech immer schon Privilegien genoss: Sein Dad arbeitete als Ingenieur bei Bayer, und die Firma stattete ihn immer mit dem neuen Kommunikations-Schnickschnack aus. Er hatte Anfang der Neunziger schon das tragbare S1 von Siemens, als der Rest der Republik noch die kiloschweren Autoklötze von Motorola mit sich rumschleppte. Und da Nicks Vater wusste, wie sehr er mit Technik bei seinem Sohn punkten kann, ließ er ihn all die Gadgets immer mitbenutzen - rein dienstlich natürlich. Irgendwann besuchten wir ihn sogar mal zusammen in seinem Büro. Der Trip war eine seltsame Mischung aus Wirtschaftswunder-Flair und einer ersten Brise Globalisierung: Vor dem Betreten der Fabrik mussten wir einem Herrn vom Werkschutz unsere Rucksäcke zeigen, in den Büros war alles mit Eichenholzpaneelen verkleidet, an
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