Extraleben - Trilogie
den ganzen Tag Zeit.«
Wie immer ist Nick schon kurz nach dem Aufstehen bester Stimmung und fit genug, um mich anzutreiben. Seine schlechte Laune von gestern Abend scheint verflogen zu sein, er schmeißt in Rekordtempo seine Sachen zusammen und reißt die Tür auf. Die wunderbare Kühle des Wüstenmorgens weht herein, vom gegenüberliegenden Motel dröhnen die Anlasser der ersten Trucks rüber. Beim Beladen des Wagens lässt Nick verlauten, dass »die Räder rollen müssen« - einer seiner Standardsätze, mit denen er mir zu verstehen gibt, heute selbst fahren zu wollen. Von mir aus, die paar Meilen Laserhighway bis L.A. wird er schon hinkriegen. Wir halten an einer der vielen örtlichen Raststätten, tanken, holen Kaffee und Schinken-Sandwiches aus der Kühltheke, die noch spektakuläre drei Monate haltbar sind. Bevor wir die Auffahrt zur Interstate erreichen, habe ich den Cheddar-Käse schon aus dem Autofenster entsorgt. Hey, ab hier sind wir in Kalifornien, dem Zuhause von gehobeltem Parmesan. Niemals, absolut niemals im Leben würde Nick einfallen, zuzugeben, dass ich der bessere Zocker bin. Das wäre wie, ja wie eigentlich? Unvorstellbar, der Männlichkeitsverlust würde jede Skala sprengen. Stattdessen wägen wir uns beide also in der Illusion, jeweils der Spielhallen-King zu sein, wobei Nick natürlich einem furchtbaren Irrtum unterliegt. Deshalb deute ich es mal als geheimes Eingeständnis meiner Überlegenheit am Joystick, dass er ausgerechnet den letzten Level, den Endgegner in diesem großen Spiel, mir überlässt. Ohnehin scheint seine Stimmung viel zu gut zu sein, um sich mit solchen Petitessen zu beschäftigen. Mit dem gebooteten Rechner lehne ich mich auf dem Beifahrersitz zurück. Nachdem Nick in voller Fahrt mit ein paar Handgriffen noch die letzten Schrauben am Emulator angezogen hat, kann das Spiel beginnen. Pling. Der Moonlander steht bereit, das Programm vom Lochstreifen meldet sich mit einem simplen Intro. YOU HAVE BEEN CHOSEN AS THE PILOTIN COMMAND OF THE LUNAR MOBILE Die Schrift flackert kurz über den schwarzen Hintergrund, dann folgen weitere Anweisungen, und die erste Runde kann beginnen. Der Spielsinn ist denkbar simpel: Ich muss eine kleine Mondfähre in einer zerklüfteten Kraterlandschaft sicher landen. Über Cursor links und Cursor rechts lässt sich das Schiff drehen, rauf und runter steuert den Schub des Raketentriebwerks. Bei jeder Runde startet die Fähre am linken oberen Bildrand, die Landestelle ist mit einem kleinen X am virtuellen Mondboden unten markiert. Je länger das Spiel dauert, desto heikler wird der Anflug auf die Landeplätze. nach ein paar Runden steckt das X zwischen zwei hohen Kratern, sodass zwischen die Felswände und meine spillerigen Landekufen nur noch ein paar Pixel passen. Bei uns im Cockpit macht sich unterdessen eine immer überschwänglichere Stimmung breit - Nick pfeift mittlerweile den Neunziger-Überohrwurm »Two Princes« von den Spin Doctors und drückt bedrohlich doll aufs Gas. Auch ich beschließe, erst mal die Vollgas-Strategie zu fahren, also: mit maximalem Schub horizontal Richtung Landestelle donnern, dann die Fähre um 180 Grad rumreißen, gegensteuern bis zum Stillstand, sacken lassen und erst wenige Meter vor dem Boden wieder Vollgas geben, um die Fähre abzufangen. So geflogen macht das alte Game zwar richtig Spaß, bringt mir aber nicht gerade einen Highscoreein. Jeder zweite Anflug misslingt, und eine hässliche Explosion killt die Stille im Mare Tranquilitatis; ist der Aufschlag besonders hart, erscheint die Einblendung THERE WERE NO SURVIVORS. Und für die paar Flüge, bei denen die Landung gelingt, gibt es kaum Punkte, weil-totaler Spießerfaktor - auch der Spritverbrauch in die Wertung eingeht. Normalerweise wäre das der Punkt, an dem wir zuhause, ohne ein einziges Wort zu verlieren, ein anderes Spiel reinwerfen würden. Doch hier geht es ja nicht um Spaß, sondern die Sache. Also reiße ich mich zusammen und schalte auf die Streber-Strategie um, betätige die Steuerdüsen nur in umweltverträglichen Dosen, schwebe elfenhaft die Landestelle an und versuche, jedes Mal butterweich aufzusetzen. Kurz gesagt: Statt den großen Schritt für die Menschheit zu wagen, fliege ich wie ein Mensch mit einem kleinen Schritt. Ein Vergnügen ist das nicht, wird aber vom Programm mit ordentlich Punkten belohnt. Eine erfolgreiche Landung reiht sich an die nächste. Zwischen zwei Runden halte ich ab und zu die Hand aus dem Fenster, um den Schweiß zu
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