Extraleben - Trilogie
Jahrzehnt, das auf billige Grandeur geradezu abonniert war. Die unglaubliche Bikini-Blondine aus dem Abspann gibt es übrigens heute noch: Sie joggt gerade neben uns den Fahrradweg entlang und schiebt dabei einen dreirädrigen Kinderwagen vor sich her.
»M.I.L.F.!«,loben wir einstimmig. Mit ein bisschen Glück ergattert Nick einen Parkplatz, der gerade noch vor der Tourigrenze liegt, hinter der die Parkgebühren pro Tag zweistellig werden. Nachdem wir uns aus dem Wagen geschält haben, strecken wir uns wie zwei alte Säcke erst mal ausgiebig, dann gehen wir ohne Eile zum Strand runter, der für eine 10-Millionen-Stadt verdammt leer ist. Die Sonne steht nur noch eine Hand breit über dem Horizont, und drüben in Santa Monica sperren die Lifeguards allmählich ihre Aussichtsbüdchen ab, die tatsächlich wie bei Baywatch aussehen.
»Tja, Alter«, sagt Nick, während er mit der Spitze seiner Chucks einen Strich in den Sand zeichnet. Wie Soldaten stellen wir uns hinter der Linie auf und starren gen Japan.
»Jack Kerouac würde sagen: There is no more land.«
»Und ich würde sagen: There is no more Lander«, füge ich hinzu, merke aber sofort, dass diese Bemerkung überhaupt nicht mehr in unsere neue, unbeschwerte Cali-Stimmung passt, und schiebe ein resigniertes »Na ja« hinterher. Nick tut so, als habe er nichts gehört: »Schätze, wir sind mal wieder angekommen.«
Ich schau zu ihm rüber, wie er sich die Hand als Sonnenschutz vor die Stirn hält: »Und jetzt?«
Mein Lieblingsbeifahrer zuckt nur mit den Schultern: »L.A., Baby?«
»L.A.,Baby.«
Ohne großes Zeremoniell machen wir kehrt und folgen unseren langen Schatten Richtung Parkplatz. Die leichte Spur von Sentimentalität verfliegt und weicht der Vorfreude auf drei entspannte, wenn möglich kommunikationsarme Tage. Da der Angelino ja leider nicht so grummelig wie der New Yorker ist, wird das wieder ein ordentliches Stück Arbeit. Wie ein Schuljunge schubst Nick mich von der Seite an, sodass ich stolpere und fast in den Sand falle. Mit einem »Ey!« drängele ich zurück. Anders als Schuljungs halten wir das Spielchen natürlich nur circa zehn Sekunden durch.
LEVEL 21
Wie üblich sind wir im Sands Motor Motel nicht allein im Zimmer: Eine Kakerlake, so groß wie eine Untertasse, ist mir heute Morgen auf dem Weg zur Toilette direkt vor die Füße gelaufen. Sehr unappetitlich, vor allem vor dem Frühstück. Weil ich mich ausnahmsweise fit und ausgeschlafen fühle, beschließe ich, dem Motelmanager persönlich von unserem Fund zu berichten. Der freundliche Inder tut erst mal sehr verständig und legt den Kopf etwas schief.
»Oh, you have a mouse in your room?«
»No, we have a cockroach in our room ...«, erkläre ich.
»A what?«, fragt der Host scheinheilig, mit exakt dem gleichen Akzent wie Apu aus den Simpsons. Langsam werde ich ein wenig gereizt: »A cockroach! You know, a cockroach?«
»You have a mouse in your room?«, wiederholt Apu mechanisch. Bevor das surreale Theaterstück in den nächsten Akt gehen kann, kommen zwei amerikanische Studenten in die Lobby, und ich räume das Feld. Zurück im Zimmer schiebe ich unsere Betten zwei Zentimeter von der Wand ab, damit die Viecher nicht von der Wand auf die Laken springen können. Nick faselt davon, dass man die Beine des Bettes in mit Wasser gefüllte Gläser stellen müsse. Als ob das was hilft! Weiß doch jedes Kind, dass Kakerlaken sogar einen Atomkrieg überleben würden, da lassen die sich doch nicht von so einem Yps-Trick beeindrucken. Mit dem Sands und uns, das war Liebe auf den ersten Blick. Allein der Name - göttlich: Motor Motel, pures Dada.
»Motel« ist ja schon die Kombination aus Motor und Hotel, insofern heißt der Name, wenn man es genau nimmt, Sands Motor Motor Hotel. Wie sollte man das noch steigern - außer vielleicht durch Hinzufügen einer »6« am Schluss? Als wir vor Jahren das halbkaputte Neonschild zum ersten Mal sahen - von Motel funktionierte nur das »0« -, wussten wir sofort: Hier würde niemals ein Polizist oder Trucker absteigen. Das ist unser Platz. Dabei ist das Sands eigentlich kein schlechter Laden: Der zweistöckige orangefarbene Bau steht mitten in West Hollywood, hat einen Pool im Innenhof und einen Parkplatz hinterm Haus. Bis zum Strand braucht man eine Dreiviertelstunde, in die Innenstadt und zum Flughafen ungefähr genauso lange. Und es ist halbwegs sicher hier, denn der Host pflegt die übliche »No bad people«-Politik, was in West Hollywood bedeutet,
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