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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Bedürfnis, einen mit Jalapenos gefüllten Burrito zu essen und sofort mit zwei Litern extrasaurer Apfelschorle runterzuspülen. Als Hypochonder beobachte ich alle körperlichen Zeichen natürlich genauestens, was mich noch wacher macht. Bis auf die paar Zipperlein läuft der Trip aber wie am Schnürchen. Ich fühle mich leicht, heiter, unbeschwert - so sehr, dass ich fast ein schlechtes Gewissen habe, schließlich muss mein Kumpel ja ins graue Deutschland zurück, und wer weiß, ob unser Kumpelding noch mal dasselbe sein wird. Für viele Leute wäre das sicher ein Grund, am Boden zerstört zu sein. Doch ich bin nur erleichtert darüber, die schweren, gefühlsbeladenen Tage in L.A. endlich hinter mir lassen zu können. Oft habe ich mich gefragt, ob mir irgendwas fehlt, eben weil mich dieser Gedanke des Eigentlich- müsstest-du-mehr-Fühlens so häufig beschleicht, sogar bei Beerdigungen. Aber meistens ist da wirklich nichts, und in meinem Alter lässt sich da wahrscheinlich nichts mehr drehen. Was Nick wohl gerade macht? Ich vermute mal, er hat sich bekochen lassen und sitzt jetzt mit einem nicht-leichten Bier auf dem Sofa, während Sabina halbnackt vor ihm steht, die Hände in die Hüften gestützt. Sie wartet, bis er seine Flasche abgesetzt hat, dann beginnt sie, ihren schwarzen Hipster Zentimeter für Zentimeter runterzurollen. um ihn - zack - einfach bis auf die sonnenbankgebräunten Fesseln runterfallen zu lassen. Sie kichert, macht mit ihren 12-Zentimeter-Absätzen einen kleinen Schritt zur Seite, bis sie neben dem Slip steht. Nick stellt sein Bier grinsend zur Seite, wohl wissend, dass die Schuhe heute zur Feier des Tages anbleiben. Dann stöckelt sie Richtung Schlafzimmer und ... Einbahnstraßenhirn, noch so eine Nebenwirkung des Jetlag. So kalt es klingen mag: Das Einzige, was meine Freude jetzt noch trübt, ist, dass sich die Dinge verändert haben. Damit konnte ich noch nie umgehen. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als meine Eltern beschlossen, einen neuen Geschirrspüler anzuschaffen, irgendwann in den Kindergartenjahren muss das gewesen sein. Erst mal nahm ich die Sache nicht ernst, aber als die Herren vom Miele- Dienst dann doch vor der Tür standen, ergriff mich regelrechte Panik, und ich nötigte meinen alten Herrn in allerletzter Sekunde dazu, zumindest den verchromten Drehknopf auf der Vorderseite des alten Geräts abzuschrauben. Erst nachdem ich dieses Erinnerungsstück in den Händen hielt, durfte unser treuer Geschirrvollwaschautomat auf seine letzte Reise gehen. Der Knopf lag dann noch jahrelang zwischen verrosteten Schrauben im Werkzeugkasten meines Vaters, ohne dass ich ihn jemals auch nur angeschaut hätte. Doch zu wissen, dass er da war, erleichterte den Abschied. Unwiederbringlichkeit, des Retromanen größter Feind. Wenn überhaupt, dann komme ich mir ein bisschen wie ein Bergsteiger vor, dem eines seiner Steigeisen weggebrochen ist. Es geht weiter voran, aber eben nur sehr beschwerlich. Check-in, Check-out, Spurt zum nächsten Gate, Bordkarte abholen - all das exerziere ich wie ein kleiner, gut aufgezogener japanischer Blechroboter durch. Nur ab und zu wird die Routine von einer Kleinigkeit unterbrochen, die mir vor Augen fuhrt, wie sehr unsere Minigruppe im Laufe der Zeit zur Symbiose geworden ist. Das fängt schon mit der Technik an: Jahrelang war Verlass darauf, dass Nick unterwegs für einen guten Datenzugang sorgt. Und was ist jetzt? Auf einmal stehe ich ohne eigenen Rechner da und muss mir auf dem Flughafen von Kopenhagen ein öffentliches Terminal suchen, um wenigstens die wichtigsten Grundinformationen zu meinem Ziel abzurufen. Wo ist das dunkelblaue Brevier der Lufthanseaten, wenn man es braucht? Hätte der Ingenieur der Kranich-Airline den Ort berücksichtigt, würde sein Eintrag zu meiner Endstation vermutlich so lauten: »Kangerlussuaq (Airport Code: SFJ),dänischer Name: Sondre Stromfjord. Ort im Westen Grönlands. 300 Einwohner. Gegründet als amerikanische Militärbasis in den Vierzigerjahren. Diente während der Luftbrücke von Berlin als wichtiger Zwischenlandepunkt « . Halt, der letzte Satz stünde nicht da, schließlich hat der, Geschäftsfreund für diese Information keine Verwendung - wen interessiert die Geschichte, wenn er Asbest einkaufen will. Ich muss an ein Strategiespiel denken, das wir irgendwann in den Neunzigern mal angezockt haben; darin ging es um das übliche Zeug - Länder erobern, Brückenköpfe bilden, Versorgungslinien einrichten und so weiter.

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