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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Greenland verschwunden zu sein scheint. Ich sitze im Kangerlussuaq Poelsevogn, was so viel heißt wie Hot-Dog-Wagen, und kaue lustlos an einer Moschusochsen- Wurst, der Spezialität des Hauses. Nein, ein Sandwich mit Truthahnbrust könne sie nicht machen, hat die nette Dame hinter der Theke gesagt. Also bestelle ich wohl oder übel den Moschusochsen und hoffe, dass er keine aphrodisierende Wirkung hat; der Jetlag reicht. Da das Restaurant einfach zu klein ist, um die Bedienung anzuschweigen, versuche ich die Zeit, die der Mikrowellenofen zum Auftauen des Fleischs braucht, mit einem lockeren Gespräch über die Landessitten zu verkürzen. Auf meine Frage, ob es hier in Grönland üblich ist, Trinkgeld - »a tip« - zu geben, starrt mich die nette Oma nur verständnislos an. »What's a tip?« Mit der Air Force scheinen auch die amerikanischen Sitten abgezogen zu sein. Dann kommt der Ochse auf Brot, und weiß Gott, genau so sieht er auch aus. Schwarz und tranig und heiß. Nick hätte seine Freude an dem Fettlappen, vorausgesetzt, sein Pepto- Vorrat wäre noch nicht erschöpft. Überhaupt würde ihm Kanger gefallen, schon deshalb, weil es hier so wenig zu entscheiden gibt. Streng genommen gibt es an Tagen wie heute überhaupt nichts zu tun, außer zuzuschauen, wie die Jets durch den engen Fjord hereinschweben - wenn sie denn schweben und nicht direkt wegen schlechten Wetters am Boden bleiben müssen. Deshalb dauerte mein Rundgang durch Kangerlussuaq heute Morgen auch nur zwanzig Minuten. Mehr Zeit war nicht nötig, um jede verschlammte Straße einmal abzulaufen. Mein Fazit lautet: Kangerlussuaq ist nur was für Geschäftsfreunde. Alles an. diesem Ort ist militärisch oder wirtschaftlich nützlich - der Rest wurde weggelassen. Effizienz heißt in Grönland die Devise: Die meisten Häuser bestehen aus Containern oder Fertigelementen, da während des kurzen arktischen Sommers wohl nicht genug Zeit ist, um richtig zu bauen. Sogar die Kirche ist von außen mit gewelltem Stahlblech verkleidet und sieht aus wie ein Logistikzentrum an der A4. Hier scheint selbst der liebe Gott nur auf der Durchreise zu sein. Die dekorierende Hand einer Frau sucht man im Ort vergebens. Stockenten aus Holz im Vorgarten gibt es in Kangerlussuaq ebenso wenig wie Vorgärten selbst, denn dieser Platz ist für die Chevy Pick-ups und Toyotas der Einheimischen reserviert - bei minus 40 Grad im Winter hält der Grönländer den Weg zwischen Haustür und Auto lieber kurz. Hier irgendetwas nett anzumalen ist ebenfalls Unsinn, weil der arktische Winter jeden Lack gründlich abschmirgelt, so wie bei den alten amerikanischen GMC-Lastwagen, die am Straßenrand vor sich hinrosten und von deren roter Lackierung nur ein mattes Orange übrig geblieben ist. Der absolute Höhepunkt meines Rundgangs durch den industriell- militärischen Komplex namens Kangerlussuaq war der International Science Support, eine der vielen gesichtslosen Lagerhallen. Da stand neben dem Eingang eine Starthilferakete für die schweren Transportmaschinen rum, die die Wissenschaftler zum Pol bringen - einfach so! An der Seite der grau angestrichenen Bombe klebte ein riesiges Warnschild mit »Explosive!« drauf. Das scheint die Einheimischen allerdings nicht davon abzuhalten, die Höllenmaschine auf dem Bürgersteig zu lagern. An solchen Details merkt man, dass Kanger keine Stadt ist, sondern ein Basislager. Ein Restaurant, das »Am Ende der Welt« heißt, hat es hier leider nicht, obwohl ich mir keinen besseren Standort dafür vorstellen kann. Überhaupt gibt es nur drei Lokale: eines natürlich im Flughafen, dann den Würstchenwagen ungefähr 50 Meter vom Airport weg, und schließlich den Roklubben, einen Ruderclub, der an einem fünf Kilometer entfernten See liegt. Deutlich zu weit weg bei dem Regen. Bleiben also nur die Hot Dogs. Dadurch, dass ich mich erst um neun Uhr Ortszeit aus dem Bett geschält habe, ist schon der halbe Tag vorbei, ohne dass ich meine Mission auch nur ein Stück vorangebracht hätte, und ruck, zuck erreiche ich diesen toten Punkt zwischen Mittag und frühem Nachmittag, an dem selbst die Fliegen müde werden. Apathisch hocken sie am Rand des Formica-Tisches und warten darauf, dass die ersten Abendgäste reinkommen und ein Bier verschütten. Es ist zwei, vielleicht halb drei, aber so genau lässt sich das nicht sagen, da die Sonne hier ja ohnehin nie richtig untergeht. Ich nehme einen Schluck Kaffee und finde alles - ich habe das Alter erreicht, in dem man so was

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