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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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sind doch so viel gereist. Sie haben so viel erlebt. Fehlt Ihnen die Welt nicht?« »Doch! Sehr!«
    Ich hatte so schwere Bleifüße, dass ich froh über die Säule unter uns war. Wie hatte ein so einsamer Mensch die ganze Zeit so dicht in meiner Nähe leben können? Wenn ich davon gewusst hätte, wäre ich hochgegangen, um ihm Gesellschaft zu leisten. Oder ich hätte ihm Schmuck gebastelt. Oder ihm die tollsten Witze erzählt. Oder ihm ein exklusives Tamburin-Kon zert gegeben.
    Ich begann mich zu fragen, ob es in meiner Nähe noch mehr Menschen gab, die so einsam waren. Ich dachte an den Text von »Eleanor Rigby«:Wo kommen all die einsamen Men schen her? Und wo gehören sie hin?
    Wie wäre es, wenn das Wasser, das aus der Dusche kommt, eine chemische Substanz enthalten würde, die auf eine ganze Reihe von Dingen reagiert, zum Beispiel auf den Herzschlag und die Körpertempertatur und die Gehirnwellen, und die Hautfarbe der jeweiligen Stimmung entsprechend verändert? Bei großer Aufregung wäre die Haut plötzlich grün, und bei Wut wäre sie rot, versteht sich von selbst, und wenn man sich so richtig scheibenkleisterig fühlt, wäre sie braun, und wenn man traurig ist, wäre sie blau.
    Dann würde jeder wissen, wie sich der andere fühlt, und man könnte rücksichtsvoller miteinander umgehen, denn ei nem Menschen mit knallroter Hautfarbe würde man natürlich nie sagen, dass man sich ein Loch in den Bauch geärgert hat, weil er viel zu spät dran ist, ebenso wenig, wie man einem Menschen mit rosa Hautfarbe auf den Rücken klopfen und sagen würde: »Gratuliere!«
    Eine gute Erfindung wäre es außerdem, weil man oft alles Mögliche auf einmal fühlt, ohne genau zu wissen, was. Bin ich frustriert? Oder bin ich einfach nur panisch? Und diese Verwirrung hat einen Einfluss auf die Stimmung, sie wird zur beherrschen den Stimmung, und man wird zu einem grauen, verwirrten Menschen. Aber durch das Spezialwasser würde man seine orangefarbenen Hände sehen und denken: Ich bin glücklich! Ei gentlich war ich die ganze Zeit glücklich! Was bin ich erleichtert!
    Mr Black sagte: »Einmal habe ich über ein russisches Dorf berichtet! Dort lebte eine Künstlergemeinschaft! Sie hatten aus den Städten fliehen müssen! Ich hatte gehört, dass überall Gemälde hingen! Ich hatte gehört, dass man vor lauter Gemälden die Wände nicht mehr sehen könne! Sie hatten die Decken bemalt, die Teller, die Fenster, die Lampenschirme! War das eine Rebellion! War das eine Gestaltungskraft! Taugten die Gemälde etwas, oder tat das im Grunde gar nichts zur Sache! Ich musste es mit eigenen Augen sehen, und ich musste der Welt davon berichten! Nur ein paar Tage bevor ich hinkam, erfuhr Stalin von der Gemeinschaft und schickte seine Schergen hin, die allen die Arme brachen! Das war schlimmer, als sie zu töten! Es war ein schrecklicher Anblick, Oskar: Sie hatten ihre Arme mehr schlecht als recht geschient und hielten sie ausgestreckt vor sich! Sie sahen aus wie Zombies! Sie konnten nicht selbst essen, weil sie die Hände nicht mehr zum Mund führen konnten! Und weißt du, was passiert ist!« »Sind sie ver hungert?« »Sie haben sich gegenseitig gefüttert! Das ist der Unterschied zwischen Hölle und Himmel! In der Hölle verhungert man! Im Himmel füttert man einander!« »Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod.« »Ich auch nicht, aber an diese Geschichte glaube ich schon!«
    Und dann kam mir plötzlich ein Gedanke. Ein großartiger Gedanke. Ein wunderbarer Gedanke. »Wollen Sie mir helfen?« »Wie bitte!« »Bei der Sache mit dem Schlüssel.« »Dir helfen!« »Sie könnten mich begleiten.« »Möchtest du, dass ich dir hel fe!« »Ja.« »Aber ich brauche keine Fürsorge! Von niemandem!« »Hammerhart«, erwiderte ich. »Aber Sie sind irre klug, und Sie wissen viel, Sie wissen unglaublich viel mehr als ich, und außerdem wäre es gut, ein bisschen Gesellschaft zu haben, al so sagen Sie bitte Ja.« Er schloss die Augen und schwieg. Ich wusste nicht genau, ob er über unseren Wortwechsel nach dachte oder ob er an etwas anderes dachte oder ob er viel leicht einfach eingeschlafen war, denn ich weiß, dass das alten Menschen wie Oma manchmal passiert, sie können nicht an ders. »Sie müssen sich ja nicht sofort entscheiden«, sagte ich, weil ich nicht wollte, dass er sich unter Druck gesetzt fühlte. Ich erzählte ihm von den 162 Millionen Schlössern und dass die Suche vermutlich ziemlich lange dauern würde, vielleicht sogar anderthalb Jahre,

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