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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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schon gut.« »Wir könnten die New York Times auf Fehler durchsehen.« »Nein, danke.« »Na gut«, sagte sie, »na gut.« Sie gab mir einen Kuss und knipste das Licht aus, und als sie aus dem Zimmer gehen wollte, sagte ich: »Mom?«, und sie sagte: »Ja?«, und ich sagte: »Versprichst du mir, dass ich nicht begraben werde, wenn ich gestorben bin?«
    Sie kam wieder zu mir und legte mir eine Hand auf die Wange und sagte: »Du wirst nicht sterben.« Ich erwiderte: »Doch, das werde ich.« Sie sagte: »Bis dahin ist noch lange hin. Du hast noch ein langes, langes Leben vor dir.« Ich erwiderte: »Du weißt ja, dass ich extrem tapfer bin, aber ich kann die Ewigkeit nicht in einem kleinen Loch unter der Erde verbrin gen. Das kann ich einfach nicht. Hast du mich lieb?« »Natür lich habe ich dich lieb.« »Dann lass mich in eines von diesen Mausoleum-Dingern bringen.« »Ein Mausoleum?« »Wie die, über die ich gelesen habe.« »Müssen wir unbedingt darüber reden?« »Ja.« »Jetzt?« »Ja.« »Warum?« »Weil ich schon morgen sterben könnte.« »Morgen stirbst du noch nicht.« »Dad hat

auch nicht damit gerechnet, dass er am nächsten Tag sterben würde.« »Aber das passiert dir nicht.« »Klar, ihm ist es ja auch nicht passiert.« »Oskar.« »Tut mir Leid, aber ich will einfach nicht begraben werden.« »Willst du denn nicht bei Dad und mir sein?« »Dad ist doch gar nicht mehr da!« »Bitte?« »Sein Körper wurde zerstört.« »Rede nicht solche Sachen.« »Welche Sachen? Es stimmt doch. Ich weiß nicht, warum alle immer so tun, als wäre er noch da.« »Reg dich bitte ab, Oskar.« »Sein Sarg ist nur eine leere Kiste.« »Er ist mehr als eine leere Kiste.« »Warum sollte ich die Ewigkeit neben einer leeren Kiste ver bringen wollen?«
    Mom sagte: »Seine Seele ist noch hier«, und das machte mich richtig wütend. Ich sagte zu ihr: »Dad hatte keine Seele! Er hatte Zellen!« »Die Erinnerung an ihn ist noch hier.« »Hier ist die Erinnerung an ihn«, sagte ich und zeigte auf meinen Kopf. »Dad hatte eine Seele«, sagte sie, als wollte sie unser Gespräch ein Stück zurückspulen. Ich erwiderte: »Er hatte Zellen, und die sind jetzt auf den Dächern und im Fluss und in den Lungen von Millionen Menschen in New York, die ihn jedes Mal einatmen, wenn sie den Mund aufmachen, um zu reden!« »So etwas darfst du nicht sagen.« »Aber das ist die Wahrheit! Warum darf ich nicht die Wahrheit sagen?« »Langsam drehst du durch.« »Du hast kein Recht, unlogisch zu sein, nur weil Dad tot ist, Mom.« »Doch, habe ich.« »Nein, hast du nicht.« »Reg dich endlich wieder ab, Oskar.« »Fick dich!« »Wie bitte?« »Tut mir Leid. Ich meinte: Leck mich.« »Ich glaube, du brauchst eine Auszeit, Os kar.« »Ich brauche ein Mausoleum!« »Oskar!« »Lüg mich nicht an!« »Wer lügt hier?« »Wo warst du?« »Wo war ich wann?« »An dem Tag!« »An welchem Tag?« »An dem Tag!« »Wie meinst du das?« »Wo warst du!« »Ich war bei der Arbeit.« »Warum warst du nicht zu Hause?« »Weil ich zur Arbeit muss.« »Warum hast du mich nicht von der Schule abgeholt, wie es andere Mütter getan haben?« »Oskar, ich bin so schnell wie möglich nach Hause gekommen. Ich brauche länger für den Heimweg als du. Ich dachte, es wäre besser, dich zu Hause zu treffen, als dich vor der Schule warten zu lassen, bis ich komme.« »Aber du hättest da sein müssen, als ich nach Hause gekommen bin.« »Ich wünschte, ich wäre da gewessen, aber es war mir unmöglich.« »Du hättest es möglich machen müssen.« »Das Unmögliche kann ich nicht möglich machen.« »Hättest du aber tun sollen.« Sie sagte: »Ich bin so schnell wie möglich nach Hause gekommen.« Und dann begann sie zu weinen.
    Die Axt gewinnt.
    Ich schmiegte mich an sie. »Ich brauche ja nichts Ausgefallenes, Mom. Einfach nur etwas über der Erde.« Sie holte tief Luft, legte einen Arm um mich und sagte: »Das könnte klappen.« Ich versuchte, auf etwas Witziges zu kommen, weil ich dachte, dass sie nicht mehr sauer auf mich wäre und dass ich wieder gebor gen wäre, wenn ich etwas Witziges sagte.»Mit ein bisschen Ell bogenfreiheit.« »Wie?« »Ich brauche dann ein bisschen Ellbo genfreiheit.« Sie lächelte und sagte: »Okay.« Ich zog noch einmal die Nase hoch, denn ich merkte, dass es klappte. »Und ein Bidet.« »Auf jeden Fall. Ein Bidet gehört zur Grundaus stattung.« »Und einen Elektrozaun.« »Elektrozaun?« »Damit mir die Grabräuber nicht alle Juwelen klauen.«

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