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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Kompromisse schließt.
    Er bekam einen Job in einem Juwelierladen, weil er sich mit den Maschinen auskannte. Er arbeitete so hart, dass man ihn zum stellvertretenden Geschäftsführer und schließlich zum Ge schäftsführer ernannte. Er machte sich nichts aus Schmuck. Er hasste ihn. Er meinte immer, Schmuck sei das genaue Ge genteil von Skulpturen.
    Aber er kam damit über die Runden, und er versicherte mir, es gehe ihm gut dabei.
    Wir eröffneten unseren eigenen Laden in einer Gegend, die an eine schlechte Gegend grenzte. Der Laden war von elf Uhr vormittags bis sechs Uhr abends geöffnet. Aber es gab immer etwas zu tun.
    Wir verbrachten unser Leben damit, unseren Lebensunter halt zu verdienen.
    Nach der Arbeit fuhr er manchmal zum Flughafen. Ich bat ihn, mir Zeitungen und Zeitschriften mitzubringen. Zuerst, weil ich amerikanische Redewendungen lernen wollte. Aber das gab ich bald auf. Trotzdem bat ich ihn weiter, zum Flug hafen zu fahren. Ich wusste, dass er dafür meine Erlaubnis haben wollte. Ich habe ihn nicht aus Nettigkeit dorthin ge schickt.
    Wir gaben uns die größte Mühe. Wir versuchten immer, einander zu helfen. Aber nicht aus Hilflosigkeit. Er musste Sachen für mich besorgen, und ich musste Sachen für ihn besorgen. Das gab unserem Leben einen Sinn. Manchmal bat ich ihn sogar um etwas, das ich eigentlich gar nicht wollte, nur damit er es mir besorgen konnte. Wir verbrachten unsere Tage damit, einander zu helfen, einander zu helfen. Ich holte ihm seine Hausschuhe. Er machte mir meinen Tee. Ich stellte die Heizung an, damit er die Klimaanlage anstellen konnte, damit ich die Heizung anstellen konnte. Seine Hände blieben rau.
    Es war Halloween. Das erste in unserer Wohnung. Es klingelte an der Tür. Dein Großvater war auf dem Flugha fen. Ich machte die Tür auf, und da stand ein kleines Mäd chen, das sich ein weißes Laken mit Augenlöchern überge hängt hatte. Gib mir Süßes, oder ich geb dir Saures!, sagte sie. Ich wich einen Schritt zurück.
    Wer bist du?
    Ich bin ein Gespenst!
    Warum trägst du das Laken?
    Weil Halloween ist!
    Und was ist Halloween?
    An Halloween verkleiden sich die Kinder und klingeln an Türen, und dann bekommen sie Süßigkeiten.
    Ich habe aber keine Süßigkeiten.
    Es ist Hal-lo-ween!
    Ich bat sie um einen Moment Geduld. Ich ging ins Schlaf zimmer. Ich zog einen Umschlag unter unserer Matratze her vor. Unsere Ersparnisse. Unser Geld zum Leben. Ich hol te zwei Hundert-Dollar-Scheine heraus und steckte sie in einen anderen Umschlag, den ich dem Gespenst gab.
    Ich bezahlte es, damit es verschwand.
    Ich schloss die Tür und knipste alle Lichter aus, damit nicht noch mehr Kinder an der Tür klingelten.
    Offenbar hatten die Tiere begriffen, denn sie umringten mich und drückten sich an mich. Als dein Großvater abends nach Hause kam, verschwieg ich ihm die Sache. Ich dankte ihm für die Zeitungen und Zeitschriften. Ich ging ins Gästezimmer und tat so, als würde ich schreiben. Ich schlug im mer wieder auf die Leertaste. Meine Lebensgeschichte bestand aus Leere.
    Die Tage vergingen, einer nach dem anderen. Und manch mal auch weniger als einer. Wir sahen uns an und zeichneten Lagepläne im Kopf. Ich sagte ihm, meine Augen seien schlecht, weil ich wollte, dass er mir Aufmerksamkeit schenk te. Wir richteten in der Wohnung sichere Orte ein. Dort hörte man auf zu sein.
    Ich hätte alles für ihn getan. Vielleicht war das meine Krankheit. Wir schliefen an Nicht-Orten miteinander und knipsten das Licht aus. Es war wie weinen. Wir mochten einander dabei nicht anschauen. Es musste immer von hin ten sein. Wie beim ersten Mal. Und ich wusste, dass er da bei nicht an mich dachte.
    Er packte mich so fest, und er stieß mich so heftig. Als wollte er durch mich hindurch in etwas anderes stoßen.
    Warum schlafen die Menschen miteinander?
    Ein Jahr verstrich. Noch ein Jahr. Noch ein Jahr. Noch eines.
    Wir verdienten unseren Lebensunterhalt.
    Ich konnte das Gespenst nicht vergessen.
    Ich brauchte ein Kind.
    Was hat es zu bedeuten, dass man ein Kind braucht?
    Eines Morgens erwachte ich und wusste, woraus das Loch in meinem Inneren bestand. Ich wusste, dass ich für mein Leben Kompromisse schließen konnte, aber nicht für das Le ben, das nach mir kam. Ich konnte es nicht erklären. Zuerst kam das Bedürfnis, dann kamen die Erklärungen.
    Ich ließ es nicht aus Schwäche geschehen, aber auch nicht aus Stärke. Es war einfach ein Bedürfnis. Ich brauchte ein Kind.
    Ich versuchte, es vor ihm zu

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