Extrem laut und unglaublich nah
starb in meinen Armen mit den Worten: »Ich will nicht sterben.« So ist der Tod. Welche Uniformen die Solda ten tragen, ist egal. Wie gut die Waffen sind, ist egal. Wenn alle sehen könnten, was ich gesehen habe, gibt es nie wieder Krieg, habe ich gedacht.
Ich drückte die Stop-Taste meines Kassettenrekorders, weil das Interview zu Ende war. Die Mädchen weinten, und die Jungs würgten, als müssten sie sich gleich übergeben.
»Tja«, sagte Mr Keegan, der sich vom Stuhl erhob und sich mit einem Taschentuch über die Stirn wischte, »das ist weiß Gott viel Stoff zum Nachdenken, Oskar.« Ich sagte: »Ich bin aber noch nicht fertig.« Er sagte: »Ich finde, das war ein gutes Ende.« Ich erklärte: »Da die Hitzewellen in gerader Linie vom Ort der Explosion ausgegangen sind, konnten Wissenschaftler die Position des Hitzekerns anhand mehrerer Messpunkte genau feststellen. Sie haben sich die Schatten angeschaut, die von dazwischenliegenden Objekten geworfen wurden, und von diesen Schatten konnte man sowohl auf die Höhe schließen, in der die Explosion stattgefunden hatte, als auch auf den Durch messer des Feuerballs im Moment seiner größten Hitzeentwicklung. Ist das nicht irre?«
Jimmy Snyder meldete sich. Ich rief ihn auf. Er fragte: »War um bist du eigentlich so krass?« Ich fragte, ob er seine Frage rhetorisch meine. Mr Keegan schickte ihn zu Rektor Bundy. Ein paar Kinder lachten. Ich wusste, dass ihr Lachen gemein war, das heißt, sie lachten über mich, aber ich ließ mich davon nicht weiter erschüttern.
»Ein weiterer interessanter Aspekt der Explosion war das Verhältnis zwischen dem Grad der Zerstörung und den Far ben, weil dunkle Farben das Licht absorbieren, versteht sich von selbst. Am Vormittag der Explosion fand in einem der Stadtparks eine wichtige Schachpartie zwischen zwei Groß meistern statt, die auf einem lebensgroßen Brett ausgetragen wurde. Die Bombe vernichtete alles: die Zuschauer auf ihren Sitzen, die Leute, die das Spiel gefilmt haben, ihre schwarzen Kameras, die Stoppuhren, selbst die Großmeister. Übrig blie ben nur die weißen Schachfiguren auf den weißen Feldern.«
Als Jimmy aus dem Klassenzimmer ging, sagte er: »Hey, Os kar, wer ist Buckminster?« Ich erwiderte: »Richard Buckmins ter Fuller war ein Wissenschaftler, Philosoph und Erfinder. Am berühmtesten ist er für die geodäsische Kuppel des amerikani schen Pavillons auf der Weltausstellung von 1967, deren be rühmteste Variante der Buckyball ist. Fuller ist 1983 gestorben, glaube ich.« Jimmy sagte: »Ich meine deinen Buckminster.«
Ich kapierte nicht, warum er mich das fragte, denn ich hatte Buckminster erst vor ein paar Wochen zu Vorführzwecken mit in die Schule genommen und vom Dach fallen lassen, um zu zeigen, dass Katzen ihren Sturz bremsen, indem sie sich in kleine Fallschirme verwandeln, und dass Katzen eher einen Sturz aus dem zwanzigsten Stockwerk überleben als einen aus dem achten, weil sie ungefähr acht Stockwerke brauchen, bis sie kapieren, was Sache ist, und sich entspannen und abbremsen. Ich sagte: »Buckminster ist mein Kätzchen.«
Jimmy zeigte auf mich und sagte: »Ha, ha!« Die Kinder lach ten gemein. Ich kapierte nicht, was so komisch daran war. Mr Keegan wurde ärgerlich und sagte: »Jimmy!« Jimmy sagte: »Wieso? Was habe ich denn getan?« Ich wusste, dass auch Mr Keegan im Stillen lachen musste.
»Eigentlich wollte ich sagen, dass man einen halben Kilo meter vom Hypozentrum entfernt einen Zettel gefunden hat, und die Buchstaben, die man in Japan Schriftzeichen nennt, waren sauber ausgebrannt. Weil ich unbedingt wissen wollte, wie das aussieht, habe ich zuerst selbst versucht, Buchstaben auszuschneiden, aber ich war nicht geschickt genug, also habe ich ein bisschen recherchiert und einen Drucker in der Spring Street ausfindig gemacht, der sich aufs Ausstanzen spezialisiert hat, und er meinte, er würde es für zweihundertfünzig Dollar tun. Ich habe ihn gefragt, ob die Steuer schon darin enthalten sei. Er meinte nein, aber ich fand, dass die Sache das Geld trotz dem wert war, und ich habe die Kreditkarte meiner Mom ge nommen, und, wie auch immer – hier ist der Zettel.« Ich hielt einen Zettel mit der ersten Seite der japanischen Ausgabe von Eine kurze Geschichte der Zeit hoch, die ich mir bei Ama zon. co. jp besorgt hatte. Ich schaute die Klasse durch die Ge schichte von den Schildkröten an.
Das war am Mittwoch.
Am Donnerstag verbrachte ich die Pause in der Bibliothek und las die neue
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