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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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mein Name, nutzen Sie ihn nicht ab!« Und er brüllte: »Komm runter!«
    Als ich wieder unten im Eingangsflur stand, erklärte mir Mr Black, dass die gesuchte Frau Kellnerin im Windows on the World gewesen sei. » Was zum ?« »Die Frau, Feliz, mit der ich gerade gesprochen habe, hat sie nicht persönlich gekannt. Sie hat nur von ihr gehört, als sie eingezogen ist.« »Echt?« »So et was würde ich mir doch nicht ausdenken.« Wir kehrten auf die Straße zurück und gingen zu Fuß weiter. Ein Auto fuhr vorbei, in dem dröhnend laut Musik lief, und die Musik ließ mein Herz vibrieren. Ich hob den Blick und sah, dass zwischen vielen Fenstern Leinen gespannt waren, an denen Wäsche hing. Ich fragte Mr Black, ob es das sei, was die Leute mit »Wäscheleinen« meinten. Er sagte: »Genau das ist gemeint.« Ich erwiderte: »Habe ich mir schon gedacht.« Wir liefen noch ein Stückchen. Auf der Straße spielten Kinder mit Steinen Fußball und lachten fröhlich. Mr Black hob einen der Steine auf und steckte ihn ein. Er schaute auf das Straßenschild und dann auf seine Uhr. Vor einem Laden saßen ein paar alte Männer auf Stühlen. Sie rauchten Zigarren und schauten sich die Welt an, als liefe sie im Fernsehen.
    »Das ist ein echt krasser Gedanke«, sagte ich. »Was?« »Dass sie dort gearbeitet hat. Vielleicht hat sie meinen Dad gekannt. Oder auch nicht, aber vielleicht hat sie ihn an dem Morgen bedient. Er war ja dort, im Restaurant. Er hatte eine Verabre dung. Vielleicht hat sie ihm Kaffee nachgeschenkt.« »Gut möglich.« »Vielleicht sind sie gemeinsam gestorben.« Mir war klar, dass er darauf nichts antworten konnte, denn sie waren natürlich gemeinsam gestorben. Die eigentliche Frage war, wie sie gemeinsam gestorben waren, etwa, ob sie an verschiedenen Enden des Restaurants oder nebeneinander gestanden hatten oder so. Vielleicht waren sie gemeinsam aufs Dach gestiegen. Auf manchen Fotos konnte man sehen, dass sich die Men schen beim Sprung an den Händen gefasst hatten. Vielleicht hatten sie das auch getan. Oder vielleicht hatten sie einfach mit einander geredet, bis das Gebäude in sich zusammengestürzt war. Über was hätten sie reden können? Sie waren ja ziemlich verschiedene Menschen gewesen. Vielleicht hatte Dad ihr von mir erzählt. Ich fragte mich wirklich, was er ihr erzählt haben könnte. Ich wusste nicht genau, wie ich es finden sollte, dass er jemandes Hand gehalten hatte.
    »Hat sie Kinder gehabt?«, fragte ich. »Keine Ahnung.« »Fra gen Sie sie.« »Wen fragen?« »Wir gehen zurück und fragen die Frau, die jetzt in der Wohnung lebt. Ich wette, sie weiß, ob Agnes Kinder hatte.« Er wollte nicht wissen, warum mir das so wichtig war, und er bestand auch nicht darauf, dass sie uns schon alles er zählt hatte, was sie wusste. Wir liefen drei Blocks zurück, und ich ging hoch und schob ihren Rollstuhl ans Geländer, und sie un terhielten sich eine Weile die Treppe hinauf und hinunter. Dann brüllte Mr Black: »Sie hatte keine Kinder!« Aber ich fragte mich, ob er mich belog, denn obwohl ich kein Spanisch kann, war mir klar, dass sie wesentlich mehr als nur »nein« gesagt hatte.
    Auf dem Rückweg zur U-Bahn fiel mir etwas ein, und dann wurde ich wütend. »Moment mal«, sagte ich. »Worüber haben Sie vorhin gelacht?« »Vorhin?« »Als Sie das erste Mal mit der Frau gesprochen haben, mussten Sie lachen. Sie bei de.« »Das weiß ich nicht mehr«, sagte er. »Das wissen Sie nicht mehr?« »Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.« »Versu chen Sie, sich daran zu erinnern.« Er dachte kurz nach. »Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.« Lüge Nr. 77.
    An der U-Bahn-Station holten wir uns ein paar Tamales, die eine Frau aus einem großen, auf einem Karren stehenden Topf verkaufte. Eigentlich mag ich kein Essen, das nicht ein zeln verpackt oder nicht von Mom zubereitet ist, aber wir setzten uns auf die Bordsteinkante und aßen unsere Tamales. Mr Black sagte: »Wenn überhaupt, dann fühle ich mich wie nach einem Bad im Jungbrunnen.« »Was ist ein Jungbrun nen?« »Ein Brunnen, in dem man wieder jung wird.« »Dann fühle ich mich auch wie nach einem Bad im Jungbrunnen.« Er legte mir einen Arm um die Schultern und sagte: »Prima.« »Die Tamales sind doch veganisch, oder?« Als wir die Treppe zur U-Bahn hinaufstiegen, schüttelte ich mein Tamburin, und als der Zug unter die Erde fuhr, hielt ich den Atem an.
    Albert Black stammte aus Montana. Eigentlich hatte er da von geträumt, Schauspieler zu werden,

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