Extrem laut und unglaublich nah
hatte. Ich zuckte mit den Schul tern, so wie Dad es immer getan hatte. »Was soll ich damit?« Ich erwiderte: »Aufmachen, versteht sich von selbst.« Aber ich konnte meine Freude nicht bezähmen, und noch bevor er die Schachtel ausgepackt hatte, sagte ich: »Ich habe Ihnen eine Halskette mit einem Kompass-Anhänger gebastelt, damit Sie immer wissen, wo Sie sich im Verhältnis zum Bett befinden!« Er packte weiter aus und sagte: »Wie nett von dir!« »Ja«, sagte ich und nahm ihm die Schachtel wieder ab, weil ich sie schnel ler auspacken konnte. »Außerhalb Ihrer Wohnung funktio niert der Anhänger vermutlich nicht, weil das Magnetfeld des Bettes immer schwächer wird, je weiter man sich davon ent fernt, aber egal.« Ich reichte ihm die Kette, und er hängte sie sich um den Hals. Das Bett sei nördlich von uns, sagte ich.
»Wohin soll es gehen?«, fragte er. »In die Bronx«, sagte ich. »Mit dem IRT ?« »Dem was?« »Dem IRT – Zug.« »Es gibt kei nen IRT – Zug, und ich benutze keine öffentlichen Verkehrs mittel.« »Warum nicht?« »Weil sie ein nahe liegendes Ziel für Anschläge sind.« »Wie willst du uns dann dorthin bringen?« »Zu Fuß.« »Von hier aus sind das gut und gern zwanzig Mei len«, sagte er. »Und hast du mich je zu Fuß laufen sehen?« »Sie haben Recht.« »Am besten, wir nehmen den IRT .« »Es gibt keinen IRT .« »Dann nehmen wir eben, was wir finden.«
Auf dem Weg nach draußen sagte ich: »Stan, darf ich dir Mr Black vorstellen? Mr Black, darf ich Ihnen Stan vorstellen?« Mr Black streckte eine Hand aus, und Stan schüttelte sie. Ich sagte zu Stan: »Mr Black wohnt in 6a.« Stan zuckte zurück, aber ich glaube nicht, dass Mr Black beleidigt war.
Wir fuhren fast den ganzen Weg zur Bronx unterirdisch, und das löste eine irre Panik in mir aus, aber als wir die ärme ren Viertel erreichten, fuhren wir überirdisch, und das gefiel mir besser. In der Bronx standen viele Gebäude leer, und das merkte ich daran, dass die Fenster kaputt waren und dass man selbst bei hoher Geschwindigkeit in die Wohnungen schauen konnte. Wir stiegen aus dem Zug und gingen dann hinab zur Straße. Als wir nach der Adresse suchten, nahm Mr Black mich bei der Hand. Ich fragte ihn, ob er Rassist sei. Er sagte, die Armut mache ihn nervös, nicht die Menschen. Ich fragte ihn aus Spaß, ob er schwul sei. Er sagte: »Ich glaube schon.« »Echt?«, fragte ich, aber ich entzog ihm nicht die Hand, denn ich bin ja nicht homophob.
Weil der automatische Türöffner kaputt war, hatte man einen Backstein vor die Tür gelegt. Die Wohnung von Agnes Black befand sich im dritten Stock, und es gab keinen Fahrstuhl. Mr Black sagte, er wolle unten auf mich warten, denn die Stufen in der U-Bahn seien für heute genug Stufen für ihn gewesen. Also ging ich allein nach oben. Der Fußboden im Flur war klebrig, und aus irgendeinem Grund waren alle Spione schwarz übermalt worden. Hinter einer der Türen sang jemand, und hinter ein paar anderen konnte ich Fernseher hö ren. Ich probierte meinen Schlüssel in Agnes’ Schloss aus, aber er passte nicht, also klopfte ich.
Die Tür wurde von einer kleinen Frau im Rollstuhl geöff net. Ich glaube, sie war Mexikanerin. Oder Brasilianerin oder so etwas Ähnliches. »Entschuldigen Sie bitte, aber heißen Sie Agnes Black?« Sie sagte: »Nichtich espreche Inglesisch.« »Was?« »Nichtich espreche Inglesisch.« »Tut mir Leid«, sagte ich, »aber ich verstehe Sie nicht. Könnten Sie den Satz bitte noch einmal wiederholen und dabei etwas deutlicher sprechen?« »Nichtich espreche Inglesisch«, sagte sie. Ich hob einen Finger, das inter nationale Zeichen für »Einen Moment, bitte«, und dann rief ich von der Treppe zu Mr Black hinunter: »Ich glaube, sie spricht kein Englisch!« »Was spricht sie denn dann?« »Was sprechen Sie?«, fragte ich sie und begriff erst im nächsten Mo ment, wie dumm meine Frage war. Ich nahm einen neuen An lauf: » Parlez-vous français? « » Español «, sagte sie. » Español! «, brüll te ich nach unten. »Großartig!«, brüllte Mr Black zurück. »Ich habe auf meinen Reisen ein bisschen Español aufgeschnappt!« Also schob ich ihren Rollstuhl ans Treppengeländer, und sie brüllten sich abwechselnd etwas zu, was irgendwie krass war, weil ihre Stimmen hin und her gingen, ohne dass sie einander zu Gesicht bekamen. Sie mussten gleichzeitig lachen, und ihr Lachen lief die Treppe hinauf und hinunter. Dann brüllte Mr Black: »Oskar!« Und ich brüllte: »Das ist
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