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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Anlass dazu gegeben.
    Meine Stirn. Mein Kinn. Meine Schläfen. Meinen Hals. Warum weinte sie?
    Ich ließ den unvollendeten Brief auf meinem Tisch liegen.
    Das Papier schürte den Brand, der unser Haus zerstörte.
    Ich hätte den Brief mit einem hässlichen Foto abschicken sollen.
    Ich hätte alles abschicken sollen.
    Der Flughafen wimmelte von Menschen, die ankamen und abflogen. Aber es gab nur deinen Großvater und mich.
    Ich nahm sein Tagebuch und blätterte es durch. Ich zeigte auf: Wie frustrierend, wie lächerlich, wie traurig.
    Er blätterte das Buch durch und zeigte auf: Die Art, wie du mir gerade das Messer gereicht hast.
    Ich zeigte auf: Wäre ich ein anderer Mensch in einer ande ren Welt gewesen, dann hätte ich mich auch anders verhalten.
    Er zeigte auf: Manchmal möchte man einfach nur ver schwinden.
    Ich zeigte auf: Macht doch nichts, wenn man sich nicht durchschaut.
    Er zeigte auf: Wie traurig.
    Ich zeigte auf: Und ich hätte auch nichts gegen etwas Süßes einzuwenden.
    Er zeigte auf: Weinte und weinte und weinte.
    Ich zeigte auf: Nicht weinen.
    Er zeigte auf: Gebrochen und verwirrt.
    Ich zeigte auf: Wie traurig.
    Er zeigte auf: Gebrochen und verwirrt.
    Ich zeigte auf: Etwas.
    Er zeigte auf: Nichts.
    Ich zeigte auf: Etwas.
    Keiner von uns beiden zeigte auf: Ich liebe dich.
    Aber wir kamen nicht darum herum. Wir konnten nicht darüber klettern oder einfach so lange laufen, bis wir es um gangen hatten.
    Wie schade, dass man ein ganzes Leben braucht, um zu ler nen, wie man leben muss, Oskar. Denn wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich vieles anders machen.
    Ich würde mein Leben ändern.
    Ich würde meinen Klavierlehrer küssen, auch wenn er mich deshalb auslachte.
    Ich würde mit Maria auf dem Bett hüpfen, auch wenn ich mir dabei lächerlich vorkäme.
    Ich würde hässliche Fotos von mir verschicken, Tausende.
    Was machen wir jetzt?, schrieb er.
    Das musst du entscheiden, sagte ich.
    Er schrieb: Ich will nach Hause.
    Was ist dein Zuhause?
    Zuhause ist der Ort mit den meisten Regeln.
    Ich wusste, was er meinte.
    Und wir werden noch mehr Regeln aufstellen müssen, sag te ich.
    Damit es noch mehr von einem Zuhause hat.
    Ja.
    Gut.
    Wir fuhren direkt zum Juwelierladen. Er stellte den Kof fer ins Hinterzimmer. An diesem Tag verkauften wir ein Paar Smaragdohrringe. Und einen Verlobungsring mit einem Di amanten. Und ein goldenes Armband für ein kleines Mäd chen. Und eine Uhr für jemanden, der auf dem Weg nach Brasilien war.
    An diesem Abend umarmten wir uns im Bett. Er küsste mich am ganzen Körper. Ich glaubte ihm. Ich war nicht dumm. Ich war seine Frau.
    Am nächsten Morgen fuhr er zum Flughafen. Ich wagte nicht, seinen Koffer anzuheben.
    Ich wartete auf seine Heimkehr.
    Stunden vergingen. Und Minuten.
    Ich machte den Laden um elf Uhr nicht auf.
    Ich wartete am Fenster. Ich glaubte immer noch an ihn.
    Ich aß nichts zu Mittag.
    Sekunden vergingen.
    Der Nachmittag verflog. Der Abend brach an.
    Ich aß nichts zu Abend.
    In den Leerstellen zwischen den Augenblicken verstrichen Jahre.
    Dein Vater strampelte in meinem Bauch und gab mir einen Tritt.
    Was wollte er mir damit sagen?
    Ich stellte die Vogelkäfige in die Fenster.
    Ich öffnete die Fenster, und ich öffnete die Käfigtüren.
    Ich kippte die Fische in den Abfluss.
    Ich brachte die Hunde und Katzen nach unten und löste ihr Halsband.
    Ich setzte die Insekten auf der Straße aus.
    Und die Reptilien.
    Und die Mäuse.
    Ich sagte zu ihnen: Geht.
    Alle.
    Geht.
    Und sie gingen.
    Und sie kehrten nicht zurück.

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GLÜCK, GLÜCK

    INTERVIEWER : Würden Sie bitte beschreiben, was an dem Mor gen passiert ist?
    THOMAYASU : Ich habe das Haus mit meiner Tochter, Masako, verlassen. Sie musste zur Arbeit. Ich wollte eine Freundin be suchen. Dann gab es Fliegeralarm. Ich sagte zu Masako, ich wolle doch lieber nach Hause. Sie sagte: »Ich gehe ins Büro.« Ich machte den Haushalt und wartete auf die Entwarnung. Ich machte die Betten. Ich räumte den Wäscheschrank auf. Ich putzte die Fenster mit einem feuchten Tuch. Da sah ich einen Blitz. Zuerst hielt ich ihn für das Blitzlicht eines Foto apparats. Inzwischen klingt das lächerlich. Der Blitz stach mir in die Augen. Ich konnte nicht mehr klar denken. In der ganzen Wohnung gingen die Fensterscheiben kaputt. Es klang wie das »Pst!«, mit dem mich meine Mutter immer ermahnt hatte, still zu sein.
    Als ich wieder zu Bewusstsein kam, merkte ich, dass ich nicht mehr auf den Beinen stand. Ich war

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