Extrem laut und unglaublich nah
Stuhl zurück und legte seinen Stift auf den Tisch. »Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?« »Wir leben in einem freien Land.« »Sind dir irgendwelche kleinen Haare auf deinem Skrotum aufgefallen?« »Skrotum.« »Das Skrotum ist das Säckchen unter deinem Penis, das deine Hoden enthält.« »Meine Eier.« »Richtig.« »Faszinierend.« »Lass dir eine Sekunde Zeit und denk darüber nach. Ich kann mich auch umdrehen.« »Ich muss nicht darüber nachdenken. Ich habe keine kleinen Haare auf meinem Skrotum.« Er notierte etwas auf einem Zettel. »Dr. Fein?« »Howard.« »Sie haben ge sagt, dass ich Ihnen mitteilen soll, wenn mir etwas peinlich ist.« »Ja.« »Das war mir peinlich.« »Tut mir Leid. Es war natürlich eine sehr persönliche Frage, ich weiß. Ich habe sie nur gestellt, weil man bei Veränderungen des Körpers manchmal starke emotionale Erschütterungen durchlebt. Ich habe mich nur ge fragt, ob ein Teil dessen, was in dir vorgeht, vielleicht mit Ver änderungen deines Körpers zu tun hat.« »Hat es nicht. Es hat damit zu tun, dass mein Dad den schrecklichsten Tod gestor ben ist, den sich jemals jemand ausdenken kann.«
Er sah mich an, und ich sah ihn an. Ich schwor mir, nicht als Erster wegzuschauen. Aber ich tat es trotzdem, wie immer.
»Wie wäre es mit einem Spielchen?« »Eine knifflige Sache?« »Nicht unbedingt.« »Ich mag knifflige Sachen.« »Ich auch. Aber das hier ist keine knifflige Sache.« »Ist ja die Härte.« »Ich sage ein Wort, und ich möchte, dass du mir das nennst, was dir als Allererstes dazu einfällt. Ob Wort, Name oder Geräusch. Ganz egal. Deine Antworten können weder falsch noch rich tig sein. Keine Regeln. Wollen wir das mal ausprobieren?« Ich sagte: »Schießen Sie los.« Er sagte: »Familie.« Ich sagte: »Fami lie.« Er sagte: »Tut mir Leid. Ich glaube, ich habe das nicht richtig erklärt. Ich nenne ein Wort, und du sagst mir das Aller erste, was dir dazu einfällt.« Ich sagte: »Sie haben ›Familie‹ ge sagt, und dazu ist mir Familie eingefallen.« Er sagte: »Versuch, nicht das selbe Wort zu benutzen. Okay?« »Okay. Ich meine: Ja.« »Familie.« »Schweres Petting.« »Schweres Petting?« »Das ist, wenn ein Mann die Scheide einer Frau mit den Fingern reibt. Richtig?«
»Ja, richtig. Gut. Es gibt keine falschen Antworten. Was ist mit Geborgenheit?« »Was soll damit sein?« »Okay.« »Ja.« »Bauchnabel.« »Bauchnabel?« »Bauchnabel.« »Dazu fällt mir nur Bauchnabel ein.« »Versuch es einfach. Bauchnabel.« »Zu Bauchnabel fällt mir wirklich gar nichts ein.« »Geh in dich.« »In meinen Bauchnabel?« »In deinen Kopf, Oskar.« »Oh.« »Bauchnabel. Bauchnabel.« »Anus des Bauches?« »Gut.« »Schlecht.« »Nein, ich meinte ›gut‹. Gut gemacht.« »Ja, ich denke mir ständig Sachen aus. Mein Kopf quillt über vor Ideen.« »Quelle.« »Wasser.« »Feiern.« »Rau-rau.« »Ist das Gebell?« »Wie auch immer.« »Okay. Super.« »Ja.« »Schmutzig.« »Bauchnabel.« »Unbequem.« »Extrem.« »Gelb.« »Die Farbe eines Bauchnabels.« »Besser, wenn es nur ein Wort ist, okay?« »Dafür, dass dieses Spiel keine Regeln hat, hat es aber ziemlich viele Regeln.« »Verletzung.« »Realistisch.« »Kürbis.« »Resopal.« »Resopal?« »Kürbis?« »Zuhause.« »Wo das Zeug ist.« »Notfall.« »Dad.« »Ist dein Dad der Anlass des Notfalls oder seine Lösung?« »Beides.« »Glück.« »Glück. Uff. Tut mir Leid.« »Glück.« »Ich weiß nicht.« »Versuch es. Glück.« »Weiß nicht.« »Glück. Geh in dich.« Ich zuckte mit den Schultern. »Glück, Glück.« »Dr. Fein?« »Howard.« »Howard?« »Ja?« »Das ist mir jetzt peinlich.«
Den Rest der Dreiviertelstunde redeten wir, obwohl ich ihm nichts mehr zu sagen hatte. Ich wollte nicht bei ihm sein. Ich wollte nirgendwo sein, wo ich nicht nach dem Schloss suchen konnte. Kurz bevor Mom hereinkam, sagte Dr. Fein, dass er gern einen Plan aufstellen würde, damit die nächste Woche besser liefe als die letzte. Er sagte: »Warum nennst du mir nicht einfach ein paar Dinge, die du tun könntest, Dinge, die du dir vornimmst. Und nächste Woche reden wir dann darüber, wie erfolgreich du sie in die Tat umgesetzt hast.« »Ich werde versuchen, zur Schule zu gehen.« »Gut. Sehr gut. Was noch?« »Vielleicht werde ich versuchen, ein bisschen mehr Geduld mit Schwachsinnigen zu haben.« »Gut. Und was noch?« »Keine Ahnung, vielleicht gebe ich mir Mühe, nicht mehr so viel durch meine Emotionalität zu
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