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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Licht.
    Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
    Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
    Ich hatte mit ganz anderen Gefühlen gerechnet. Aber selbst da konnte ich nicht aus meiner Haut.
    Oskar, ich weiß noch, wie du vor all den Fremden auf der Bühne gestanden hast. Ich hätte ihnen am liebsten gesagt: Er gehört zu mir. Ich wäre am liebsten aufgestanden und hätte gerufen: Dieser schöne Mensch gehört zu mir! Mir!
    Als ich dir zugeschaut habe, war ich unglaublich stolz und zugleich unglaublich traurig.
    Ach. Seine Lippen. Deine Lieder.
    Als ich dir zuschaute, hatte mein Leben einen Sinn. Selbst alles Schlimme darin hatte einen Sinn. Ohne das Schlimme gäbe es dich nicht.
    Ach. Deine Lieder.
    Das Leben meiner Eltern hatten einen Sinn.
    Das meiner Großeltern.
    Selbst Annas Leben.
    Ich kannte die Wahrheit, und darum war ich so traurig.
    Jeder vergangene Moment hängt vom gegenwärtigen Mo ment ab.
    Alles in der Weltgeschichte kann sich von einem Moment auf den anderen als falsch erweisen.
    Deine Mutter wollte eine Beerdigung, obwohl es keinen Leichnam gab.
    Was konnte man dagegen einwenden?
    Wir fuhren alle zusammen in der Limousine. Ich konnte nicht aufhören, dich zu berühren. Ich bekam nicht genug davon. Ich hätte mehr als zwei Hände gebraucht. Du hast mit dem Fahrer gescherzt, aber ich habe gemerkt, wie sehr du insgeheim gelitten hast. Du hast ihn zum Lachen gebracht, weil du so gelitten hast. Als wir am Grab standen und als man den leeren Sarg hineinsenkte, hast du einen Laut ausgestoßen wie ein Tier. Einen solchen Laut hatte ich noch nie gehört. Du klangst wie ein waidwundes Tier. Ich habe den Laut noch im Ohr. Nach diesem Laut hatte ich vierzig Jahre gesucht, mein Leben und meine Lebensgeschichte hätten sein sollen wie er. Deine Mutter zog dich beiseite und nahm dich in den Arm. Man schaufelte Erde ins Grab deines Vaters. Auf den leeren Sarg meines Sohnes. Er enthielt nichts.
    Alle meine Laute waren in mir verschlossen.
    Die Limousine brachte uns nach Hause.
    Alle schwiegen.
    Als wir vor meinem Haus hielten, hast du mich bis zur Tür gebracht.
    Der Portier sagte, ich hätte einen Brief bekommen.
    Ich erwiderte, ich würde ihn mir morgen oder übermorgen anschauen.
    Der Portier sagte, er sei gerade von einem Mann abgegeben worden.
    Ich sagte: Morgen.
    Der Portier sagte: Der Mann sah verzweifelt aus.
    Ich bat dich, mir den Brief vorzulesen. Ich sagte: Ich habe schlechte Augen.
    Du hast ihn geöffnet.
    Es tut mir Leid, hast du gesagt.
    Was tut dir Leid?
    Nein – das steht hier.
    Ich nahm dir den Brief aus der Hand und las ihn selbst.
    Als mich dein Großvater vor vierzig Jahren verlassen hat, löschte ich alles aus, was er geschrieben hatte. Ich wischte die Wörter von den Spiegeln und Fußböden. Ich strich die Wän de. Ich wusch die Duschvorhänge. Ich versiegelte sogar die Fußböden neu. Um alle seine Wörter loszuwerden, brauchte ich genauso lange, wie ich ihn gekannt hatte. Es war, als dreh te ich ein Stundenglas um.
    Ich dachte: Soll er suchen, was er sucht, und begreifen, dass es nicht mehr existiert oder nie existiert hat. Ich dachte: Er schreibt mir bestimmt. Oder er schickt Geld. Oder bittet um ein Foto vom Baby, wenn schon nicht um eines von mir.
    Vierzig Jahre lang kein Wort.
    Nur leere Briefumschläge.
    Und dann, am Tag der Beerdigung meines Sohnes, vier Wörter.
    Es tut mir Leid.
    Er war zurückgekehrt.

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AM LEBEN UND ALLEIN
    Nach sechseinhalb Monaten gemeinsamer Suche sagte mir Mr Black, er wolle nicht mehr, also war ich wieder allein, und ich hatte nichts erreicht, und ich hatte so schwere Bleifüße wie noch nie in meinem Leben. Mit Mom konnte ich nicht dar über reden, versteht sich von selbst, und obwohl Toothpaste und The Minch meine besten Freunde waren, konnte ich mit ihnen ebenfalls nicht darüber reden. Opa konnte mit den Tie ren sprechen, aber ich nicht, also war mir Buckminster auch keine große Hilfe. Vor Dr. Fein hatte ich keinen Respekt, und allein die Vorgeschichte, die ich Stan hätte erzählen müssen, bevor ich zur eigentlichen Geschichte gekommen wäre, war viel zu lang, und dass ich mit Toten reden konnte, hielt ich eher für unwahrscheinlich.
    Da seine Schicht gerade begonnen hatte, wusste Farley nicht, ob Oma zu Hause war. Er fragte mich, ob etwas nicht stimme. Ich sagte: »Ich brauche sie.« »Soll ich sie kurz anru fen?« »Nein, nicht nötig.« Als ich die zweiundsiebzig Stufen hinaufrannte, dachte ich: Und außerdem war er ein unglaublich al ter Knabe,

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