Extrem laut und unglaublich nah
Angelegenheit.
Wir waren nicht wütend aufeinander.
Ich weiß nicht, wie viel du begriffen hast, aber vermutlich hast du alles begriffen.
Nachmittags fuhr sie mit den Suchzetteln ins Zentrum. Die Zettel füllten einen ganzen Koffer. Ich musste an deinen Großvater denken. Ich fragte mich, wo er sich gerade be fand. Wollte ich, dass er litt? Ich wusste es nicht genau.
Sie nahm einen Tacker mit. Und eine Schachtel Heftklam mern. Und Klebeband. Daran muss ich jetzt denken. Mir wird schlecht dabei. Beim Gedanken an diese ganz hand festen Dinge. Da liebt man jemanden vierzig Jahre, und am Ende bleiben nur Heftklammern und Klebeband.
Wir waren allein. Du und ich.
Wir spielten im Wohnzimmer Spiele. Du hast Schmuck gebastelt. Der Schal wurde immer länger. Wir gingen im Park spazieren. Wir sprachen nicht über das, was über unse ren Köpfen schwebte. Was uns niederdrückte wie eine Zim merdecke. Als du mit dem Kopf in meinem Schoß einge schlafen warst, schaltete ich den Fernseher an.
Ich stellte ihn auf stumm.
Immer wieder die gleichen Bilder.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Stürzende Körper.
Menschen, die hoch oben in den Fenstern mit Hemden winkten.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Stürzende Körper.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Menschen, bedeckt von grauem Staub.
Stürzende Körper.
Einstürzende Gebäude.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Einstürzende Gebäude.
Menschen, die hoch oben in den Fenstern mit Hemden winkten.
Stürzende Körper.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Manchmal spürte ich, wie deine Augenlider zuckten. Warst du wach? Oder hast du geträumt?
Deine Mutter kam erst am späten Abend nach Hause. Der Koffer war leer. Sie umarmte dich, bis du sagtest: Du tust mir weh.
Sie rief jeden an, den dein Vater gekannt hatte, und jeden, der vielleicht etwas wusste. Sie sagte: Tut mir Leid, dich zu wecken. Ich hätte ihr am liebsten ins Ohr geschrien: Es braucht dir nicht Leid zu tun! Sie fasste sich immer wieder an die Augen, obwohl sie nicht weinte.
Man rechnete mit Tausenden von verletzten Menschen. Bewusstlosen Menschen. Menschen, die ihr Gedächtnis ver loren hatten. Man rechnete mit Tausenden von Toten. Man wollte sie auf einer Eislaufbahn aufbahren.
Weißt du noch, wie wir vor ein paar Wochen Eislaufen wa ren und wie ich mich abwandte, nachdem ich dir gesagt hatte, ich würde Kopfschmerzen davon bekommen, den Leuten beim Eislaufen zuzuschauen? Unter dem Eis sah ich aufgereiht die Toten liegen.
Deine Mutter sagte, ich könne ruhig nach Hause gehen.
Ich erwiderte, ich wolle nicht nach Hause.
Sie sagte: Mach dir etwas zu essen. Versuch zu schlafen.
Ich bekomme doch keinen Bissen herunter, und schlafen kann ich auch nicht.
Sie sagte: Ich muss schlafen.
Ich sagte ihr, dass ich sie liebte.
Da musste sie weinen, denn sie hatte gehofft, dass ich noch Hoffnung hätte.
Ich ging wieder zurück über die Straße.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Stürzende Körper.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Einstürzende Gebäude.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Sobald ich für dich nicht mehr stark zu sein brauchte, wurde ich ganz schwach. Ich sank zu Boden, denn dort gehörte ich hin. Ich schlug mit den Händen auf den Fußboden. Ich hätte mir am liebsten die Hände gebrochen, aber als es zu weh tat, hörte ich auf. Ich war zu egoistisch, um mir wegen meinem einzigen Kind die Hände zu brechen.
Stürzende Körper.
Heftklammern und Klebeband.
Ich fühlte mich nicht leer. Ich wünschte, ich hätte mich leer gefühlt.
Menschen, die hoch oben in den Fenstern mit Hemden winkten.
Ich hätte mich am liebsten so leer gefühlt wie eine auf den Kopf gestellte Karaffe. Aber ich war so schwer wie ein Stein.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Ich musste ins Bad. Ich wollte nicht aufstehen. Ich woll te in meinem eigenen Dreck liegen, denn ich hatte es nicht anders verdient. Ich wollte in meinem eigenen Dreck liegen wie ein Schwein. Aber ich stand auf und ging ins Bad. So bin ich eben.
Stürzende Körper.
Einstürzende Gebäude.
Die Jahresringe des Baumes, der von unserem Haus wegge kippt war.
Wie gern hätte ich unter den Trümmern gelegen. Nur ei ne Minute. Eine Sekunde. Ich wollte einfach an der Stelle deines Vaters sein. Aber zugleich war es viel schwieriger.
Der Fernseher war das einzige
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