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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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beruflich? Oder – wenn Sie schon pensio niert sind – was haben Sie beruflich gemacht?« Er zuckte mit den Schultern. Ich zerbrach mir den Kopf über eine Frage, auf die er nicht keine Antwort wusste. »Sind Sie ein Mensch?« Er blätterte zurück und zeigte auf: »Tut mir Leid.«
    Ich hatte Oma nie dringender gebraucht als in diesem Mo ment.
    Ich fragte den Mieter: »Darf ich Ihnen etwas aus meinem Leben erzählen?«
    Er öffnete die linke Hand.
    Also legte ich mein Leben hinein.
    Ich stellte mir vor, er wäre Oma, und ich fing ganz von vorn an.
    Ich erzählte ihm vom Smoking auf dem Stuhl und dass ich die Vase zerbrochen und den Schlüssel gefunden hatte, ich erzählte ihm vom Schlüsseldienst und vom Umschlag und vom Laden für Künstlerbedarf. Ich erzählte ihm von der Stimme Aaron Blacks, und ich erzählte ihm, dass ich fast Abby Black geküsst hätte. Sie hatte sich nicht geweigert, sondern nur gesagt, dass sie es für keine gute Idee halte. Ich erzählte ihm von Abe Black in Coney Island, von Ada Black mit ihren zwei Picassos und von den Vögeln, die an Mr Blacks Fenster vorbeigeflogen waren. Ihr Flügelschlag war das Erste, was er seit mehr als zwanzig Jahren gehört hatte. Dann gab es noch Bernie Black, der zwar einen Blick auf den Gramercy Park, aber keinen Schlüssel dafür hatte, was nach seinen Worten schlim mer war, als eine kahle Hauswand vor der Nase zu haben. Chelsea Black war braun gebrannt, hatte aber einen blassen Kreis um den Ringfinger, weil sie sofort nach den Flitterwochen die Scheidung eingereicht hatte, Don Black war unter anderem Tierschützer, und Eugene Black besaß unter anderem eine Münzsammlung. Fo Black wohnte in der Canal Street, die früher ein richtiger Kanal gewesen war. Er sprach nicht gut Englisch, denn er hatte nie einen Anlass dafür gehabt, da er Chinatown seit seiner Auswanderung aus Taiwan nicht verlassen hatte. Während unseres Gesprächs stellte ich mir die ganze Zeit das Wasser auf der anderen Seite des Fensters vor, als wären wir in einem Aquarium. Er bot mir eine Tasse Tee an, aber ich mochte gerade nicht, aber ich trank sie trotzdem, weil ich nicht unhöflich sein wollte. Ich fragte ihn, ob er New York wirklich liebe oder sein T-Shirt nur so trage. Er antwortete mit einem Lächeln, das irgendwie nervös wirkte. Ich wusste, dass er meine Frage nicht verstanden hatte, und aus irgendeinem Grund hatte ich plötzlich Schuldgefühle, weil ich Englisch gesprochen hatte. Ich zeigte auf sein T-Shirt. »Lieben. Sie. New. York. Wirklich?« Er sagte: »New York?« Ich sagte: »Ihr. T. Shirt.« Er senkte den Blick auf sein Shirt. Ich zeigte auf das N und sagte: »New«, und ich zeigte auf das Y und sagte: »York.« Er sah aus, als wäre er verwirrt oder überrascht oder als wäre es ihm peinlich oder als wäre er möglicherweise sogar sauer. Ich wusste nicht genau, was in ihm vor ging, weil ich die Sprache seiner Gefühle nicht beherrschte. »Ich nicht wusste, war New York. Auf Chinesisch, ny heißt ›du‹. Ich glaubte, war: ›Ich liebe du‹.« Erst da bemerkte ich das » I ♥ NY «-Poster an der Wand und den » I ♥ NY «-Wimpel über der Tür und die » I ♥ NY «-Brotdose auf dem Küchentisch und die » I ♥ NY «-Geschirrhandtücher am Haken. Ich fragte ihn: »Warum lieben Sie denn jeden so?«
    Georgia Black aus Staten Island hatte ihr Wohnzimmer in ein Museum für ihren Mann verwandelt. Sie hatte Fotos von ihm als Kind und sein allererstes Paar Schuhe und seine alten Zeug nisse, die nicht so gut waren wie meine, aber wie auch immer. »Ihr seid die ersten Besucher seit mehr als einem Jahr«, sagte sie und zeigte uns einen hübschen, goldenen Orden, der in ei nem mit Samt ausgeschlagenen Kästchen lag. »Er war Offizier bei der Marine, und ich war unglaublich gern eine Seemanns-braut. Alle paar Jahre mussten wir an irgendeinen exotischen Ort umziehen. Ich konnte nie groß Wurzeln schlagen, aber es war toll. Wir haben zwei Jahre auf den Philippinen gelebt.« » Cool «, sagte ich, und Mr Black stimmte ein Lied in einer kras sen Sprache an, vermutlich Philippinisch. Sie zeigte uns ihr Hochzeitsalbum, immer ein Foto nach dem anderen, und sag te: »War ich damals nicht schlank und hübsch?« Ich erwiderte: »Ja, das waren Sie.« Mr Black sagte: »Und das sind Sie.« Sie sag te: »Was seid ihr beiden doch für Herzchen!« Ich sagte: »Ja, das sind wir.«
    »Das hier ist der Golfschläger, mit dem er damals auf einen Schlag eingelocht hat. Darauf war er wahnsinnig stolz.

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