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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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über dem Stuhl. Ich fass te in die Taschen. Dein Vater hatte die Hände seines Vaters. Die Hände deines Großvaters. Wirst du später auch diese Hände haben? Die Taschen erinnerten mich daran.
    Ich kehrte in dein Zimmer zurück und legte mich auf dein Bett.
    Ich konnte die Sterne unter deiner Zimmerdecke nicht se hen, weil das Licht an war.
    Ich dachte an die Wände des Hauses, in dem ich aufgewach sen war. An die Abdrücke meiner Finger.
    Als die Wände einstürzten, stürzten mit ihnen auch die Ab drücke meiner Finger ein.
    Ich hörte dich unter mir atmen.
    Oskar?
    Ich hockte mich auf den Fußboden. Ich fiel auf Hände und Knie.
    Ist Platz für zwei darunter?
    Nein.
    Bestimmt nicht?
    Ganz bestimmt nicht.
    Darf ich es ausprobieren?
    Meinetwegen.
    Ich konnte mich nur mit Mühe unter das Bett zwängen.
    Wir lagen auf dem Rücken. Es war so eng, dass man sich nicht einmal das Gesicht zuwenden konnte. Hier kam kein Licht an uns heran.
    Wie war es in der Schule?
    Ganz gut.
    Warst du rechtzeitig dort?
    Ich war früh dran.
    Dann hast du draußen gewartet?
    Ja.
    Was hast du gemacht?
    Ich habe gelesen.
    Was?
    Was was?
    Was hast du gelesen?
    Eine kurze Geschichte der Zeit.
    Und? Ist es spannend?
    Die Frage passt nicht wirklich zu dem Buch.
    Und dein Heimweg?
    War wie immer.
    Herrliches Wetter.
    Ja.
    So ein herrliches Wetter hatten wir noch nie.
    Stimmt.
    Eigentlich viel zu schade, um im Haus zu sein.
    Wahrscheinlich.
    Tja, aber was soll man machen?
    Ich wollte dir das Gesicht zuwenden, aber es ging nicht. Ich griff nach deiner Hand.
    Hattet ihr früher Schule aus?
    Eigentlich sofort.
    Weißt du, was passiert ist?
    Ja.
    Hast du von Mom oder Dad gehört?
    Mom.
    Was hat sie gesagt?
    Sie hat gesagt, alles sei gut, und sie sei bald zu Hause.
    Dad ist auch bald wieder zu Hause. Sobald er den Laden zumachen kann.
    Ja.
    Du hattest die Hände gegen das Bett gedrückt, als wolltest du es hochstemmen. Ich wollte dir etwas sagen, aber ich wusste nicht, was. Ich wusste nur, dass ich dir etwas Dringendes sa gen musste.
    Möchtest du mir deine Briefmarken zeigen?
    Nein, vielen Dank.
    Wir könnten auch Daumenhakeln spielen.
    Später vielleicht.
    Hast du Hunger?
    Nein.
    Willst du hier einfach warten, bis Mom und Dad nach Hau se kommen?
    Glaube schon.
    Möchtest du, dass ich hier mit dir warte?
    Meinetwegen.
    Bist du sicher?
    Ja, bestimmt.
    Bitte, Oskar, darf ich?
    Meinetwegen.
    Manchmal hatte ich das Gefühl, als würde der Raum über uns zusammenbrechen. Irgendjemand war auf dem Bett. Maria, die sprang. Dein Vater, der schlief. Anna, die mich küsste. Ich hatte das Gefühl, begraben zu sein. Anna, die mir beide Hände auf die Wangen legte. Mein Vater, der mich in die Wangen kniff. Alles auf mir.
    Als deine Mutter nach Hause kam, hätte sie dich mit ihrer Umarmung fast zerquetscht. Ich hätte dich am liebsten vor ihr beschützt.
    Sie fragte, ob dein Vater angerufen habe.
    Nein.
    Sind irgendwelche Nachrichten auf dem Anrufbeantworter?
    Nein.
    Du hast sie gefragt, ob dein Vater eine Verabredung in dem Gebäude hatte.
    Sie verneinte.
    Du hast versucht, ihren Blick aufzufangen, und da wusste ich, dass du es wusstest.
    Sie rief bei der Polizei an. Es war besetzt. Sie versuchte es noch einmal. Es war besetzt. Sie versuchte es immer wie der. Als sie endlich durchkam, wollte sie mit jemandem spre chen. Es gab niemanden, mit dem sie sprechen konnte.
    Du bist ins Bad gegangen. Ich bat sie, sich zu beherrschen. Wenigstens vor dir.
    Sie rief bei den Zeitungen an. Auch dort wusste man nichts.
    Sie rief bei der Feuerwehr an.
    Niemand wusste etwas.
    Ich strickte den ganzen Nachmittag an deinem Schal. Er wurde immer länger. Deine Mutter schloss die Fenster, aber der Brandgeruch blieb.
    Sie fragte mich, ob wir Suchzettel machen sollten.
    Ich sagte, das sei eine gute Idee.
    Da musste sie weinen, denn sie hatte gehofft, dass ich noch Hoffnung hätte.
    Der Schal wurde immer länger.
    Sie suchte ein Foto von eurem letzten Urlaub heraus. Er war erst zwei Wochen her. Das Foto zeigte dich und deinen Vater. Als sie es mir zeigte, meinte ich, sie solle kein Foto mit dir darauf nehmen. Sie brauche ja nicht das ganze Foto, sag te sie. Nur das Gesicht deines Vaters.
    Ich erwiderte: Ich finde es trotzdem falsch.
    Sie sagte: Im Moment haben wir wichtigere Sorgen.
    Nimm doch einfach ein anderes Foto.
    Lass gut sein, Mom.
    Sie hatte mich noch nie Mom genannt.
    Es gibt so viele andere Fotos.
    Kümmere dich lieber um deine Angelegenheiten.
    Das ist meine

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