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Extrem

Extrem

Titel: Extrem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Goedde
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den sechziger Jahren jagten sich der Franzose und der Italiener immer wieder gegenseitig die Rekorde ab. Doch die Handlung des Films geht über die Nacherzählung ihrer lebenslangen Rivalität weit hinaus. Erzählt er doch die Geschichte einer Jungen-Freundschaft und einer großen Liebe – zum Meer. Einer Liebe, die – nur im Film – für beide Taucher tödlich endet: Nachdem Enzo bei einem Rekordversuch vor der Küste Griechenlands tödlich verunglückt, unternimmt Jacques kurze Zeit später einen letzten nächtlichen Tauchgang, um seinem Freund in die Tiefe zu folgen …
    Auch wenn der „echte“ Enzo noch lebt und der „echte“ Jacques nicht beim Tauchen starb, ist die Gefahr grundsätzlich groß, beim Apnoetauchen ums Leben zu kommen. Trotzdem schafft Luc Besson mit seinem Film eine Atmosphäre, die im Zuschauer eben jene tiefe Sehnsucht auslöst, von der eingangs die Rede war. Eine Sehnsucht nach dem Ort, an dem sich ein Mensch qua Naturgesetz nicht dauerhaft aufhalten kann. Zwar zeigt Besson den Taucher dort unten völlig auf sich gestellt und verlassen,doch lässt er den Ozean gleichzeitig eine Stille und seine Protagonisten eine Ruhe ausstrahlen, die vollkommen auf den Betrachter überzugehen scheinen.
    Die Ambivalenz von Einsamkeit und Ruhe auf der einen und Anziehungskraft und Gefahr auf der anderen Seite war dem Regisseur nicht fremd. Besson arbeitete selbst fünf Jahre lang als Tauchlehrer. Mit dem Film über den Tiefseetaucher und Weltrekordler Jacques Mayol erfüllte er sich einen Jugendtraum. Im Alter von 16 Jahren sah er die Dokumentation eines italienischen Unterwasserfilmers über Mayol, in der dieser mit einem einzigen Atemzug auf 92 Meter tauchte. Diese Bilder haben Besson tief bewegt. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass Mayol später als Berater an Bessons Film mitwirkte. Unheimlich hingegen ist, dass Mayol sich das Leben nahm, 13 Jahre nachdem die Figur des Jacques, dem Plot des Films folgend, absichtlich die Sicherheitsleine vom Tauchschlitten löste, um auf immer im Grand Bleu zu verschwinden. Mayol zu Ehren wurde vor der Küste Elbas in 16 Metern Tiefe ein Denkmal versenkt.
    Apnoetaucher leben mit der Nähe zum Tod. Mit der Gefahr für sich selbst oder für ihre Kollegen. Die Szene ist klein, die Taucher kennen einander. Unter Umständen verbindet sie eine Freundschaft. So wie Guillaume Néry und den 2007 verunglückten Weltrekordler Loïc Leferme. Nach dessen Tod, berichtet Néry, habe er eineinhalb Jahre gebraucht, bis er die Leidenschaft fürs Tauchen wiederentdeckte. Und dennoch, sie alle tauchen weiter. In dem Wissen um die Gefahr, in dem Wissen darum, dass der Tod Teil des Spiels ist – „ein Spiel für Erwachsene“, wie Néry sagt. Auf der Homepage von Francisco Ferreras, genannt Pipin, eines weiteren Kollegen von Nitsch und Néry, findet sich folgender Eintrag: „Es wäre ärgerlich, bei einem Verkehrsunfall umzukommen. Ich muss im Wasser sterben. Das ist meine Bestimmung. Möglicherweise werde ich als Seelöwe oder als Wal wiedergeboren.“
    All das führt mich zu meiner letzten Frage: „Warum, Herr Nitsch, tun Sie , was Sie tun?“
    „Wenn ich da unten bin, habe ich ein Gefühl der tiefen, kalten Einsamkeit. Aber es ist eine schöne, ruhige Einsamkeit – weg von allem Trubel an der Oberfläche. Ich weiß nicht, ob man das so leicht nachvollziehen kann. Es ist so, als würde man sich die Erde als eine flache Scheibe vorstellen. Alle befinden sich darauf und ich bin Hunderte von Kilometern darunter – im luftleeren Raum.“

Die Schönheit der Todeszone
    Alles eine Frage der Perspektive: Für einen Bewohner von Neuendorf-Sachsenbande im Kreis Steinburg, Schleswig-Holstein, wo sich mit dreieinhalb Metern unter dem Meeresspiegel der tiefstgelegene begehbare Punkt Deutschlands befindet, ist der Brocken mit seinen 1 141,1 Metern ein stattlicher Berg. Meine Interviewpartnerin, ihres Zeichens Extrembergsteigerin, hätte für den Harz wohl nur die Bemerkung übrig: „Was für ein schöner Wald.“ Den Berg darunter würde sie wahrscheinlich gar nicht wahrnehmen. Denn da, wo Gerlinde Kaltenbrunner herumsteigt, wachsen schon lange keine Bäume mehr.
Höher, schneller, weiter!
    Gerlinde Kaltenbrunner hat als dritte Frau alle 14 Achttausender bestiegen. Und sie war die erste Frau, der dies ohne zusätzlichen Sauerstoff aus der Flasche gelang. Es ist schon seltsam, wenn wir von extremen Erfahrungen sprechen, scheint es auch immer um das Schneller-Höher-Weiter zu gehen.

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