Exzession
ein Bild von sich selbst, so wie man in diesem
Moment war. Ein kleiner Gedanke reichte, um das Bild vom
gegenwärtigen Geschlecht zum anderen zu verändern. Man kam
aus der Trance, und schon war es vollbracht. Der Körper
würde sich allmählich verändern, die Drüsen
würden die entsprechenden hormonellen Signale aussenden, wodurch
der allmähliche Prozeß der Verwandlung ausgelöst
würde.
Innerhalb eines Jahres konnte eine Frau, die fähig gewesen
war, ein Kind im Leib zu tragen – ja, sogar einem Kind das Leben
zu schenken –, durchaus ein Kind zeugen. Die meisten Leute in
der Kultur veränderten ihr Geschlecht an irgendeinem Punkt ihres
Lebens, obwohl nicht alle Kinder zur Welt brachten, solange sie
Frauen waren. Im allgemeinen wechselten die Leute letzten Endes
wieder zu ihrem kongenitalen Geschlecht zurück, aber nicht
immer, und einige Leute kreisten ihr ganzes Leben lang hin und her
zwischen männlich und weiblich, während sich manche
für einen androgynen Dauerzustand entschieden, da sie darin
einen angenehmen Gleichmut fanden.
Langzeit-Beziehungen in einer Gesellschaft, in der die Leute im
allgemeinen mindestens dreieinhalb Jahrhunderte lang lebten,
mußten zwangsweise von anderer Natur sein als die in
primitiveren Zivilisationen, die den ursprünglichen Stamm der
Kultur hervorgebracht hatten. Lebenslange Monogamie war nicht
gänzlich unbekannt, jedoch sehr ungewöhnlich. Ein Paar, das
während der Kindheit und Jugend eines gemeinsamen
Sprößlings zusammenblieb, kam häufiger vor, war
jedoch ebenfalls nicht die Norm. Das durchschnittliche Kultur-Kind
war seiner Mutter nah und wußte mit ziemlicher Sicherheit, wer
sein Vater war (vorausgesetzt, es war nicht ein Klon seiner Mutter
oder hatte anstelle der Gene eines Vaters ein Surrogat, das die
Mutter hergestellt hatte), aber im allgemeinen stand es seinen Tanten
und Onkeln näher, die in derselben weitgefaßten
familiären Gruppierung lebten, meistens in demselben Haus,
derselben Wohnung oder auf demselben Anwesen.
Es gab jedoch Partnerschaften, die mit der Absicht der
Dauerhaftigkeit geschlossen wurden, und eine Methode, wie bestimmte
Paare ihre Co-Abhängigkeit untermauerten, war die zeitliche
Abstimmung ihrer Geschlechtsumwandlungen, so daß jeweils zu
bestimmten Zeiten jeder jede Rolle beim Geschlechtsakt spielte. Ein
Paar bekam zum Beispiel ein Kind, dann wurde der Mann zur Frau, und
die Frau wurde zum Mann, und sie bekamen noch ein Kind. Eine
verfeinerte Version dieser Methode war möglich durch das
Maß an Kontrolle über das eigene reproduktive System, das
ein weiteres historisches genetisches Herumbasteln ermöglicht
hatte.
Es war einer Kultur-Frau möglich, schwanger zu werden, doch
dann, bevor sich das befruchtete Ei in der Gebärmutter
einnistete, die langsame Verwandlung in einen Mann einzuleiten. Das
befruchtete Ei entwickelte sich nicht weiter, aber ebensowenig kam es
notwendigerweise zu einem Abgang oder einer Reabsorbierung. Es konnte
gehalten werden, in eine Art ausgesetzter Belebung versetzt, so
daß es sich nicht weiter teilte, sondern wartete, immer noch im
Eierstock. Dieser Eierstock wurde dann natürlich zu einem Hoden,
aber – mit ein wenig zellularer Finesse und einiger geschickter
Manipulationen – konnte das befruchtete Ei sicher,
lebensfähig und unverändert in dem Hoden bleiben,
während dieses Organ seinen Beitrag zur Besamung der Frau
leistete, die der Mann gewesen war, dessen Sperma die
ursprüngliche Befruchtung erledigt hatte. Der Mann, der eine
Frau gewesen war, verwandelte sich dann wieder zurück. Wenn die
Frau, die ein Mann gewesen war, die Entwicklung ihres befruchteten
Eies ebenfalls verzögerte, war es möglich, das Wachstum der
beiden Föten und die Geburt der Babys zeitlich aufeinander
abzustimmen.
Für einige Leute in der Kultur war dieser –
zugegebenermaßen ziemlich langwierige und umständliche
-Vorgang ganz einfach die schönste und vollkommenste Art und
Weise, wie zwei Menschen ihre Liebe füreinander ausdrücken
konnten. Andere fanden ihn eher ein wenig überspannt und –
na ja – glibberig.
Das Seltsame war, daß Genar-Hofoen bis zu dem Zeitpunkt, da
er sich in Dajeil verliebt hatte, ein überzeugter Anhänger
der letzteren Meinung war. Er hatte zwanzig Jahre zuvor, noch vor
seiner vollen Geschlechtsreife und bevor er seine eigene Einstellung
zu diesen Dingen so richtig kannte, beschlossen, daß er sein
ganzes Leben lang männlich bleiben wolle. Er sah ein, daß
die Möglichkeit der
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