Exzession
tags
zuvor gesprochen hatte, war keine Spur zu sehen.
Der Awatara Amorphia erwartete ihn; er saß auf der
Böschung des Kiesstrandes, der sich zum unruhigen Meer hin
neigte, die Arme um die Beine geschlungen und aufs Wasser
hinausstarrend.
Er blieb stehen, als er ihn erblickte, dann setzte er seinen Weg
fort. Er ging an ihm vorbei und in den Turm, wusch seine Stiefel ab
und trat wieder hinaus. Das Geschöpf war immer noch da.
»Ja?« sagte er und blickte zu ihm hinab. Der
Repräsentant des Schiffes erhob sich mit geschmeidigen
Bewegungen, ganz Gelenke und zarte Gliedmaßen. Aus der
Nähe und in diesem Licht betrachtet, wies sein schmales, blasses
Gesicht eine Art makelloser, ungekünstelter Schönheit auf;
etwas, das an Unschuld grenzte.
»Ich möchte, daß du mit Dajeil sprichst«,
sagte das Geschöpf. »Machst du das?«
Er musterte seine ausdrucksleeren Augen. »Warum werde ich
hier festgehalten?«
»Du wirst festgehalten, weil ich möchte, daß du
mit Dajeil redest. Du wirst hier festgehalten, weil ich
dachte, dieses… Modell würde dazu beitragen, dich in die
richtige Stimmung zu versetzen, um mit ihr über das zu reden,
was sich zwischen euch vor vierzig Jahren zugetragen hat.«
Er runzelte die Stirn. Amorphia hatte das Gefühl, daß
dem Menschen noch jede Menge Fragen auf der Seele lagen, die alle
darum rangen, als erste gestellt zu werden. Schließlich sagte
er: »Befinden sich noch irgendwelche eingelagerten
Gehirnsubstrate auf der Sleeper Service?«
»Nein«, antwortete der Awatara und schüttelte den
Kopf. »Hat das etwas mit der Machenschaft zu tun, die dich
hierhergeführt hat?«
Der Mann schloß kurz die Augen, dann öffnete er sie
wieder. »Ja, ich nehme es an«, sagte er. Dem Awatara kam es
so vor, als ob seine Schultern zusammengesunken wären.
»Also«, fragte er, »hast du dir die Geschichte
über Zreyn Enhoff Tramow ausgedacht, oder ist das deren
Erfindung?«
Der Awatara machte ein nachdenkliches Gesicht. »Gart-Kepilesa
Zreyn Enhoff Tramow Afayaf dam Niskat«, sagte er. »Sie war
ein eingelagertes Gehirnsubstrat. Über sie gibt es eine ziemlich
interessante Geschichte, aber ich würde sehr davon abraten,
daß man sie dir erzählt.«
»Ich verstehe«, sagte er und nickte. »Und
warum?«
»Warum was?« fragte das Geschöpf mit verdutzter
Miene.
»Warum die Hinterlist? Warum wolltest du, daß ich
hierherkomme?«
Der Awatara betrachtete ihn eine Zeitlang. »Du bist mein
Preis, Genar-Hofoen«, erklärte er schließlich.
»Dein Preis?«
Der Awatara lächelte plötzlich und streckte eine Hand
aus, um die seine zu berühren. Seine Berührung war
kühl und fest. »Laß uns Steine werfen«, sagte
er. Und damit ging er zu den Wellen hinunter, die sich an der
Kiesböschung brachen.
Der Mensch schüttelte den Kopf und folgte dem
Geschöpf.
Sie standen nebeneinander. Der Blick des Awatara schweifte
über den weiten Hang von glatten, in der Gischt glänzenden
Steinen. »Jeder einzelne eine Waffe«, murmelte er, dann
bückte er sich, um einen Kiesel vom Strand aufzuheben, und warf
ihn schnell und mühelos hinaus in die sich hebenden und
senkenden Wellen. Genar-Hofoen wählte ebenfalls einen Stein
aus.
»Ich habe vierzig Jahre lang vorgetäuscht, ein
Exzentriker zu sein, Genar-Hofoen«, sagte der Awatara
unumwunden, während er sich wieder niederkauerte.
»Vorgetäuscht?« fragte der Mann, der den Stein in
hohem Bogen wegschleuderte. Er fragte sich, ob es wohl möglich
war, das Kraftfeld der Wand gegenüber zu treffen. Der Stein
plumpste ins Wasser und verschwand in der schwankenden
Wellenlandschaft.
»Ich war während der ganzen Zeit ein eifriges und
fleißiges Mitglied der Besonderen Gegebenheiten, stets in
Erwartung meiner Berufung«, ließ ihn das Schiff durch den
Awatara wissen. Er warf ihm einen Blick zu, während er sich
wieder bückte, um einen weiteren Stein auszusuchen. »Ich
bin eine Waffe, Genar-Hofoen. Eine zu leugnende Waffe. Meine
scheinbare Exzentrizität erlaubt es der ehrenwerten Kultur,
jegliche Verantwortung für meine Handlungen abzulehnen. Genau
gesagt, handele ich nach den spezifischen Anweisungen eines
BG-Komitees, das sich selbst die Interessante Zeit-Bande
nennt.«
Das Geschöpf verstummte, um einen Stein in Richtung des
falschen Horizonts zu werfen. Sein Arm gab beim Werfen ein
verwischtes Bild ab; in der Luft war ein Zischen, und Genar-Hofoen
spürte den Hauch der Bewegung auf der Wange. Der Schwung des
Awatara drehte diesen im Kreis, dann fing er sich wieder,
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