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Exzession

Exzession

Titel: Exzession Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Maßstab
für den Erfolg dar. Vollkommenheit ist unerreichbar.
Außerdem mußt du dich damit abfinden, daß es in
einer so großen Ansammlung von Persönlichkeiten und
Geschichten etliche Ungereimtheiten gibt, einige Erzählungen,
die irgendwie unklar im Sande verlaufen, anstatt zu einem
schlüssigen Ende zu führen. Das macht nichts, solange es
andere gibt, die zufriedenstellend ausgehen, vor allem solange die,
an denen dir am meisten gelegen ist – und in die du
persönlich verstrickt bist –, gut ausgehen.«
    Er blickte aus der Hocke zu ihm hoch. »Manchmal greifst du in
solche Geschichten, in solche Schicksale ein. Manchmal
läßt sich das Ausmaß voraussehen, in dem dein
Eingreifen etwas bewirkt, aber in anderen Fällen weißt du
das nicht und kannst es nicht einmal ahnen. Du stellst vielleicht
fest, daß eine beiläufige Bemerkung von dir das Leben von
jemand anderem einschneidend beeinflußt hat oder daß eine
scheinbar nebensächliche Entscheidung, die du getroffen hast,
tiefgreifende und dauerhafte Folgen hat.«
    Er zuckte die Achseln und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den
Steinen zu. »Deine Geschichte – deine und Dajeils
Geschichte – war in etwa eine von diesen«, erklärte
er. »Ich war es, der bei der Entscheidung mitwirkte, daß
dir erlaubt wurde, Dajeil Gelian nach Telaturier zu begleiten«,
sagte er und erhob sich. Diesmal hielt er zwei Steine in den
Händen; einer war größer als der andere. »Ich
erkannte, wie fein ausbalanciert die Meinungen zwischen den
verschiedenen Teilen des mit der Sache befaßten Komitees waren;
ich wußte, daß ich das Zünglein an der Waage war.
Ich habe dich kennengelernt und traf meine Entscheidung.« Er hob
die Schultern. »Es war die falsche Entscheidung.« Er warf
den größeren Stein im hohen Bogen von sich und drehte sich
wieder zu dem Mann um, wobei er den kleineren Stein in der Hand wog.
»Während der letzten vierzig Jahre ließ mich der
Wunsch nicht los, daß ich meinen Fehler wiedergutmachen
könnte.« Er wandte sich wieder ab und warf den anderen
Kiesel flach und schnell; der Stein zischte hinaus über die
Wellen und traf den größeren Stein etwa zwei Meter bevor
er ins Wasser platschte; sie zerbarsten zu wirbelnden Stücken
und einer flüchtigen Staubwolke.
    Der Awatara wandte sich mit lächelndem Gesicht wieder zu ihm
um. »Ich habe eingewilligt vorzutäuschen, ein Exzentriker
zu werden; plötzlich hatte ich eine Freiheit, die nur wenigen
Fahrzeugen jemals zuteil wird und die mir ermöglichte, mich
meinen Launen, meinen Phantasien, meinen Träumen
hinzugeben.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Oh, theoretisch
sind wir alle dazu in der Lage, aber Gehirne haben ein
Pflichtbewußtsein, und ein Gewissen. Es gelang mir, ein wenig
exzentrisch zu werden, indem ich vorgab, sehr exzentrisch zu sein
– während ich genau wußte, daß auf mir eine
größere kriegerische Verantwortung lastete als auf irgend
jemandem sonst –, und – indem ich vorgab, diese
Exzentrizität reinen Gewissens zu genießen – meinen
Ruf als Exzentriker sogar noch zu steigern. Andere Fahrzeuge, die
mich beobachteten, dachten, sie könnten es mir gleichtun, doch
das ging nicht lange gut, und deshalb mußten sie annehmen,
daß ich durch und durch und ganz besonders sonderbar war.
Soweit ich weiß, ahnte nicht ein einziger, daß mein
Gewissen deshalb rein blieb, weil ich einen ausreichend ernsten Zweck
verfolgte, der selbst die clownhafteste Verkleidung und ein
gesteigert besessenes Verhalten aufwog.«
    Er verschränkte die Arme. »Natürlich«, fuhr er
fort, »rechnet man normalerweise nicht damit, vier Jahrzehnte
lang ununterbrochen, Tag für Tag an die eigene Torheit erinnert
zu werden, aber bei mir sollte es so sein. Anfangs sah ich das nicht
voraus, obwohl es zu einem nützlichen und überzeugenden
Teil meiner Exzentrizität wurde. Ich nahm Dajeil für eine
kurze Zeit in mein inneres Exil auf. Sie stellte die einzige
unerledigte Aufgabe aus meinem vorherigen Leben dar, der Bedeutung
zukam. All die anderen Geschichten betrafen mich nicht so direkt und
waren auch nicht mit einem ähnlichen Gewicht an Verantwortung
belastet, oder sie standen kurz vor einer befriedigenden Lösung
oder sollten alsbald in Vergessenheit geraten, allein dank des
Umstandes, daß die Zeit verging und die Leute sich
veränderten. Nur Dajeil blieb meiner Verantwortung
überlassen.« Der Awatara zuckte die Achseln. »Ich
hatte gehofft, sie zu einem Sinneswandel zu überreden, sie dazu
zu bewegen,

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