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Exzession

Exzession

Titel: Exzession Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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setzte ein
kurzes, beinahe kindliches Grinsen auf und spähte hinaus zu dem
Stein, der in der Ferne verschwand. Er befand sich immer noch auf der
aufsteigenden Linie seiner Flugbahn. Genar-Hofoen sah ihm ebenfalls
nach. Kurz nachdem er in den Sinkflug übergegangen war, prallte
er auf etwas Unsichtbares und stürzte ins Wasser. Der Awatara
gab einen wohlgefälligen Laut von sich und blickte
selbstzufrieden drein.
    »Als es jedoch soweit war«, sagte er, »weigerte ich
mich, das zu tun, was sie von mir wollten, solange sie mir dich nicht
ausgeliefert hatten. Das war mein Preis. Du.« Er lächelte
ihn an. »Verstehst du?«
    Er wog einen Stein in der Hand. »Nur wegen der Dinge, die
sich zwischen Dajeil und mir zugetragen haben?«
    Der Awatara lächelte und bückte sich dann, um einen
weiteren Stein auszuwählen, einen Finger nach Kinderart an die
Lippen gelegt. Er schwieg eine Weile, anscheinend auf die Aufgabe
konzentriert. Genar-Hofoen wog weiterhin den Stein in seiner Hand und
sah hinunter auf den Hinterkopf des Awatara. Nach einer Weile sagte
das Geschöpf: »Ich war dreihundert Jahre lang ein voll
funktionsfähiges, auf Mengenbewältigung eingerichtetes
Allgemeines System-Fahrzeug der Kultur, Genar-Hofoen.« Er sah zu
ihm auf. »Hast du eine Vorstellung davon, wie viele Schiffe,
Drohnen, Leute – menschliche und nicht-menschliche –
während dieser ganzen Zeit ein ASF durchlaufen?« Er senkte
den Blick wieder, hob einen Stein auf und richtete sich wieder zu
voller Größe auf. »Ich habe in der Regel zweihundert
Millionen Leuten eine Heimat geboten; theoretisch hätte ich
über hunderttausend Schiffe beherbergen können. Ich habe
kleinere ASF gebaut, die alle fähig waren, ihre eigenen
Schiffskinder zu bauen, jedes mit einer eigenen Besatzung, eigener
Persönlichkeit, eigenen Geschichten.
    Gastgeber für so viele Wesen zu sein, bedeutet das
Äquivalent zu einer kleinen Welt oder einem großen
Staat«, sagte er. »Es war für mich Beruf und
Vergnügen gleichzeitig, mich mit hingebungsvollem Interesse dem
körperlichen und geistig-seelischen Wohlergehen jedes einzelnen
Individuums an Bord zu widmen und ihm – mit scheinbarer
Mühelosigkeit – eine Umgebung zu bieten, die allen
jeweiligen Ansprüchen in höchstem Maße gerecht wurde
und jedem ein angenehmes, streßfreies und anregendes Dasein
gewährte. Es war außerdem meine Pflicht, all diese
Schiffe, Drohnen und Leute kennenzulernen, um mich mit ihnen
unterhalten zu können und mit ihnen zu fühlen und zu
begreifen, wieviele davon zu irgendeiner Zeit den Genuß einer
derartigen Interaktion anstrebten. Unter solchen Verhältnissen
entwickelt man sehr schnell – sofern man nicht von Natur aus
damit ausgestattet ist – ein Interesse an Leuten, und vielleicht
läßt man sich sogar von ihnen faszinieren. Und man hat
seine Vorlieben und Abneigungen; es gibt Leute, bei denen man ein
Minimum an Höflichkeit erfüllt und die man besonders gern
von hinten sieht, und solche, die man mag und die einen mehr als
andere interessieren, die man jahre- oder sogar jahrzehntelang
schätzt, wenn sie bleiben, oder bei denen man sich wünscht,
sie wären länger geblieben, wenn sie fortgehen, und mit
denen man infolgedessen eine regelmäßige Korrespondenz
unterhält. Es gibt Lebensläufe, die man weit in die Zukunft
hinein verfolgt, nachdem die Leute selbst lange weg sind; man tauscht
mit anderen ASF, anderen Gehirnen Geschichten aus – im Grunde
Klatschgeschichten –, um zu erfahren, wie sich irgendwelche
Beziehungen entwickelt haben, wer Karriere gemacht hat, wessen
Träume sich erfüllt haben und wessen nicht…«
    Amorphia beugte sich nach hinten und dann nach vorn und warf den
Stein beinahe senkrecht nach oben. Das Geschöpf sprang
ungefähr einen Meter in die Luft, als es das Geschoß
freiließ, das in die Höhe stieg, bis es an dem
unsichtbaren Dach abprallte, hoch oben, und zwanzig Meter vor der
Küste in die Wellen fiel. Der Awatara schlug sich einmal in die
Hände, voller Freude, wie es den Anschein hatte.
    Er bückte sich erneut und betrachtete prüfend die
Kieselsteine. »Du bemühst dich um eine ausgewogene
Einstellung zwischen Gleichgültigkeit und Neugier, zwischen
Sorglosigkeit und Besessenheit«, fuhr er fort. »Dennoch
mußt du dich darauf gefaßt machen, in beider Hinsicht des
Versagens beschuldigt zu werden. Eine annähernde numerische
Übereinstimmung beizubehalten, und zwar innerhalb des Umfangs,
der von deinesgleichen erprobt ist, stellt einen

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