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Exzession

Exzession

Titel: Exzession Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Wir
alle wurden sogar durchsucht. Wenn die Polizei jemanden ertappte, der
ein Tagebuch versteckt hatte, wurde er auf der Stelle erschossen. Das
meiste unseres beweglichen Hab und Guts ging ebenfalls in Rauch auf.
Was wir hatten behalten dürfen, war so gründlich durchsucht
worden, daß wir den Scherz machten, es sei ihnen gelungen,
jedes einzelne Sandkorn von unseren Uniformen zu entfernen, etwas,
das die Reinigung nie geschafft hatte.
    Wir wurden aufgeteilt und zu verschiedenen Posten überall
in den besiegten Gebieten verlagert. Wiedervereinigung wurde nicht
gern gesehen.
    Ich trug mich mit dem Gedanken, das Geschehene
niederzuschreiben – nicht als Geständnis, sondern zur
Erklärung.
    Und auch wir litten. Nicht nur unter den physischen
Bedingungen, obwohl diese schlimm genug waren, sondern in der Seele,
im Bewußtsein. Es mag einige Rohlinge gegeben haben, ein paar
Ungeheuer, die sich bei alledem im Ruhm sonnten (vielleicht haben wir
während all der Zeit einige Mörder von den Straßen
unserer Städte ferngehalten), doch die meisten von uns machten
von Zeit zu Zeit schreckliche Qualen durch, indem sie sich in
kritischen Augenblicken fragten, ob das, was wir taten, wirklich
richtig war, obwohl wir im Herzen wußten, daß es das
war.
    Viele von uns litten unter Alpträumen. Die Dinge, die
wir jeden Tag sahen, die Szenen, deren Zeugen wir wurden, der
Schmerz und das Entsetzen; diese Dinge mußten unweigerlich ihre
Spuren auf uns hinterlassen.
    Was diejenigen betraf, die wir beseitigten: Ihre Pein dauerte
einige Tage, vielleicht einen Monat oder zwei, dann war es so schnell
und gründlich vorbei, wie wir den Vorgang durchführen
konnten.
    Unser Leiden dauerte eine Generation lang an.
    Ich bin stolz auf das, was ich getan habe. Ich wünschte,
es wäre nicht mir zugefallen, das zu tun, was getan werden
mußte, aber ich bin froh, daß ich es nach meinem besten
Können getan habe, und ich würde es wieder tun.
    Deshalb wollte ich niederschreiben, was geschehen war; als
Zeugnis für unseren Glauben und unsere Hingabe und unser
Leiden.
    Ich habe es nie getan.
    Und ich bin auch darauf stolz.

    Er wachte auf, und etwas war in seinem Kopf.
    Er war wieder in der Wirklichkeit, wieder in der Gegenwart, wieder
im Schlafzimmer seines Hauses in der Wohnanlage nahe am Meer, einem
Altersruhesitz; er sah das Licht der Sonne, das auf die Fliesen des
Balkons vor dem Zimmer fiel. Seine Zwillingsherzen pochten, die
Meßgeräte auf seinem Rücken registrierten höhere
Werte und kribbelten. Sein Bein schmerzte als Nachhall des Schmerzes
der uralten Verletzung, die er auf dem Gletscher davongetragen
hatte.
    Der Traum war bis jetzt der lebhafteste gewesen, und der
längste, und hatte ihn schließlich zu dem Gletscherabgang
im westlichen Streb und zu dem Unfall mit dem Zugseil geführt
(tief begraben in seinem Gedächtnis waren diese Ereignisse
gewesen, überlagert von dem ganzen schrecklichen weißen
Gesicht seines erinnerten Schmerzes). Genau wie dieser war alles
andere, das er erlebt hatte, über den normalen Verlauf
hinausgegangen, das übliche Traumszenario, getrieben durch das
erneute Durchleben des Unfalls und die Vorstellung des Ringens um
Luft, während er gebannt in das Gesicht des toten Mädchens
starrte.
    Er hatte festgestellt, daß er nachdachte, daß er
erklärte, ja sogar rechtfertigte, was er während seiner
militärischen Laufbahn getan hatte, während des
entscheidendsten Teils seines Lebens.
    Und jetzt spürte er etwas in seinem Kopf.
    Was immer es sein mochte, das da in seinem Kopf war, es hatte ihn
veranlaßt, die Augen zu schließen.
    : Endlich, sagte es. Es war eine tiefe, bewußt
autoritäre Stimme, mit einer beinahe zu vollkommenen
Aussprache.
    Endlich? dachte er. (Was war das?)
    : Ich habe die Wahrheit.
    Was für eine Wahrheit? (Wer war das?)
    : Über das, was du getan hast. Deine Leute.
    Was?
    : Die Beweise waren überall; in der Wüste verteilt, in
Lehm eingebrannt, in Pflanzen hausend, eingesunken in den Grund von
Seen, und auch in den Kulturakten; das plötzliche Verschwinden
von Kunstgegenständen, Veränderungen in der Architektur und
Agrikultur. Es gab ein paar versteckte Belege – Bücher,
Fotos, Tonaufnahmen, Indizien, die der neugeschriebenen Geschichte
widersprachen –, aber sie erklärten noch lange nicht, warum
so viele Leute, so viele Leute anscheinend so plötzlich
verschwanden, ohne jede Spur der Einverleibung.
    Wovon redest du überhaupt? (Was war das da in seinem
Kopf?)
    : Du würdest es nicht

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