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Exzession

Exzession

Titel: Exzession Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Oberschenkel und brach ihm unter einer Flut
von Schmerzen die Knochen. Der Aufprall rollte ihn mehrfach durch den
Schnee, während die Knochen knirschten und sich ihm ins Fleisch
bohrten; das hielt eine Weile an, die ihm wie ein Tag vorkam. Dann
blieb er schreiend im Schnee liegen. Er fand sich von Angesicht zu
Angesicht dem Ding gegenüber, das ihn getroffen hatte.
    Es war einer der Körper, die die Zugleine mitgerissen hatte,
als sie den Hang hinauf gezischt war, eine der Leichen, die sie an
jenem Morgen freigehackt und herausgelöst und wie verfaulte
Zähne aus dem neuen Streb des Gletschers gezogen hatten, einer
jener toten Zeugen, die zu entdecken und unter strengster
Geheimhaltung zu den Leichenwaggons im Tal unten zu befördern
ihre Pflicht war, damit sie von anklagenden Leichen in unschuldigen
Rauch und Asche verwandelt werden würden. Was ihn getroffen und
ihm das Bein zerschmettert hatte, war einer der Körper, die eine
halbe Generation zuvor in dem Gletscher versenkt worden waren, als
die neu eroberten Gebiete von den Feinden der Rasse gesäubert
worden waren.
    Der Schrei erzwang sich einen Weg aus seiner Lunge heraus, wie
etwas, das verzweifelt darum rang, in die frostige Luft geboren zu
werden, wie etwas, das qualvoll danach drängte, sich den anderen
Schreien zuzugesellen, die er rings um sich herum am Rand der
Förderrampe hören konnte.
    Der Atem des Kommandanten war weg; er starrte in das steinharte
Gesicht der Leiche, die ihn getroffen hatte, und er keuchte nach
Luft, um erneut zu schreien. Es war das Gesicht eines Kindes, eines
kleinen Mädchens.
    Der Schnee verbrannte sein Gesicht. Sein Atem wollte nicht
zurückkommen. Sein Bein war ein brennendes Mal aus Schmerz, das
seinen ganzen Körper in Flammen setzte.
    Nicht jedoch seine Augen. Seine Sicht verschwamm.
    Warum widerfahrt mir das? Warum hört es nicht auf?
    Warum kann ich es nicht anhalten? Warum kann ich nicht
aufwachen? Warum durchlebe ich all diese schrecklichen Erinnerungen
noch einmal?
    Dann schwanden der Schmerz und die Kälte, schienen von ihm
genommen zu sein, und eine andere Kälte überkam ihn, und er
stellte fest, daß er – nachdachte. Über all das
nachdachte, was geschehen war. Rückblickend, beurteilend.
    …In der Wüste haben wir sie sofort verbrannt. Es gab
keine solche Nachlässigkeit. War es irgendwie der Versuch,
poetisch zu sein, daß wir sie in dem Gletscher begruben? In
einer so großen Höhe im Gletscher versenkt, würden
ihre Leichen jahrhundertelang im Eis bleiben. Zu tief begraben, um
von irgend jemandem gefunden zu werden, der sich nicht den
tödlichen Mühen unterzog, die wir dafür aufbringen
mußten. Glaubten unsere Anführer allmählich selbst an
ihre Propaganda, daß ihre Herrschaft hundert Lebensspannen lang
andauern würde, und dachten sie deshalb so weit voraus? Sahen
sie bereits die Schmelzseen unter den gezackten, schmutzigen
Ausläufern des Gletschern, so viele Jahrhunderte später,
bedeckt mit den treibenden Leichen, die aus dem Griff des Eises
befreit waren? Machten sie sich Sorgen, was die Leute dann von ihnen
halten würden? Nachdem sie die gesamte Gegenwart mit solcher
Skrupellosigkeit besiegt hatten, begannen sie da eine Kampagne, um
sich auch die Zukunft zu unterwerfen, damit sie sie lieben
würde, wie wir alle vorgaben, es zu tun?
    …In der Wüste haben wir sie sofort verbrannt. Sie
kamen in langen Kolonnen durch die sengende Hitze und den
erstickenden Staub heraus, und denjenigen, die nicht in den schwarzen
Lastwagen gestorben waren, boten wir reichlich Wasser zum Trinken an;
kein noch so starker Wille konnte dem Durst widerstehen, den diese
backofenheißen Tage, die sie unter den Toten verbracht hatten,
in ihnen aufgebaut hatte.
    Sie tranken das vergiftete Wasser und starben innerhalb weniger
Stunden. Wir verbrannten die geplünderten Leichen in
Solaröfen, unsere Opfergabe an die unersättlichen
Himmelsgötter von Rasse und Reinheit. Und es schien etwas Reines
an der Art zu sein, auf die wir uns ihrer entledigten, als ob der Tod
ihnen eine Vornehmheit beschert hätte, die sie in ihrem
jämmerlichen, unwürdigen Leben niemals erlangt hätten.
Ihre Asche fiel wie ein leichter Staub auf die pulverige Leere der
Wüste, um beim ersten Sturm mit weggefegt zu werden.
    Die letzte Ofenladung waren die Lagerarbeiter selbst –
größtenteils in ihren Schlafsälen vergast –, und
der gesamte Papierkram: jeder Brief, jeder Befehl, jeder
Bestellblock, jede Lagerliste, Akte, Notiz, interne Mitteilung.

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