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Exzession

Exzession

Titel: Exzession Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Morgendämmerung
von seinem Feldbett. Drunten im Tal stießen die Kamine
über den Leichenwaggons dunklen Rauch aus. Sonst bewegte sich
nichts im Lager. Er wandelte zwischen stillen Zelten hindurch und
unter den Wachttürmen zu der Seilbahn, die ihn durch den Wald zu
den Gletschern brachte.
    Das Licht war blendend weiß und kalt, dünne Luft
schabte hinten an seiner Kehle. Der Wind zerrte an ihm und
wühlte Schleier aus Schnee und Eis auf, die über die
rissige Oberfläche des großen Eisstroms zogen, der
eingebettet war zwischen den zerklüfteten Ufern der
felsschwarzen und schneeweißen Berge.
    Der Kommandant sah sich um. Sie bauten jetzt das westlichste Streb
ab; es war das erste Mal, daß er diese neueste Anlage gesehen
hatte. Das Streb selbst lag im Innern einer großen Vertiefung,
die sie in den Gletscher gesprengt hatten; Männer, Maschinen und
Zugseile bewegten sich am Boden der riesigen Kuhle aus glitzerndem
Eis. Das Streb war von reinstem Weiß, mit Ausnahme eines
Gesprenkels von schwarzen Flecken, die aus der Ferne wie Steine
aussahen. Es sah gefährlich steil aus, dachte er, aber wenn man
es in einem flacheren Winkel ausgehoben hätte, hätte es
länger gedauert, und sie wurden ständig vom Hauptquartier
zur Eile gedrängt…
    Oben an der steilen Rampe, wo die Seile ihre angehakte Fracht
abluden, wartete ein Zug; Rauch zog schwarz über die blendend
weiße Landschaft. Wachen stampften mit den Füßen,
Ingenieure standen an der Motorwinde, in lebhafte Diskussion
vertieft, und ein baufälliger Wohnwagen entließ eine neue
Schicht von Staplern frisch aus der Pause. Eine Karre voll
Strebarbeitern wurde in die riesige Mulde im Eis hinabgefahren; er
konnte die grämlichen, ausgemergelten Gesichter der Männer
sehen, wie Bündel verpackt in Uniformen und
Kleidungsstücken, die wenig besser als Lumpen waren.
    Ein Rumpeln und ein Beben entstand unter ihm.
    Er wandte den Blick wieder dem Eisstreb zu und sah, wie die
gesamte östliche Hälfte davon wegbröckelte, in sich
zusammenbrach und mit majestätischer Langsamkeit in schwellenden
Wolken aus Weiß auf die winzigen schwarzen Flecken der Arbeiter
und Wachen unten fielen. Er beobachtete, wie die kleinen Gestalten
vor der herabsausenden Eislawine flohen, während diese durch die
Luft und am Boden zu ihnen herunterdrückte.
    Einige schafften es. Die meisten verschwanden jedoch unter der
großen weißen Woge, wegradiert von dem kalkigen,
glitzernden Gestöber. Der Lärm war ein so tiefes
Dröhnen, daß er es in der Brust spürte.
    Er rannte am Rand der Senke entlang zur oberen Plattform der
Förderrampe; alle schrien und hasteten wild durcheinander. Der
gesamte Boden der Senke füllte sich mit dem weißen Dunst
des aufgewühlten Schnees und pulverisiertem Eis und vernebelte
die davonrennenden Überlebenden ebenso, wie es mit jenen
geschehen war, die der eigentliche Eisabgang unter sich begraben
hatte.
    Die Motorwinde arbeitete auf Hochtouren und gab dabei ein
schrilles Quietschen von sich. Er rannte zu der Gruppe von Leuten
weiter, die sich neben der Förderrampe versammelt hatten.
    Ich weiß, was hier geschieht, dachte er. Ich
weiß, was mit mir geschieht. Ich erinnere mich an den Schmerz.
Ich sehe das Mädchen. Ich kenne dieses Stück. Ich
weiß, was geschieht. Ich darf nicht weiterrennen. Warum
höre ich nicht auf zu rennen? Warum kann ich nicht anhalten?
Warum kann ich nicht aufwachen?
    Als er zu den anderen gelangte, erwies sich die Belastung des
gefangenen Zugseiles – das immer noch von der Winde gezogen
wurde – als zu groß. Die Stahltrosse riß irgendwo im
Innern der dunstigen Mulde mit einem Knall wie ein Schuß. Das
Stahlkabel sauste zischend und sirrend durch die Luft, sich
schlängelnd und windend, und während es hangaufwärts
bis zum Rand schnellte, verlor es unterwegs den größten
Teil seiner grausigen Fracht, wie Eis, das von einer Peitsche
tropfte.
    Er schrie den Männern oben an der Förderrampe etwas zu,
stolperte und fiel mit dem Gesicht in den Schnee.
    Nur einer der Ingenieure ließ sich rechtzeitig fallen.
    Die meisten anderen wurden von der sensenartigen Trosse sauber
entzwei geteilt und fielen in einer blutigen Gischt langsam in den
Schnee. Einige Schlaufen der Trosse prallten mit einem donnernden
Klirren von der Lokomotive des Zugs ab und wickelten sich um das
Gehäuse der Winde, als ob sie darüber erleichtert
wären; andere klatschten schwer in den Schnee.
    Etwas traf mit der Wucht eines kräftig geschwungenen
Vorschlaghammers seinen

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